: Die Idee des Zusammenseins
CLUB Freitags Platten auflegen oder Sabbat feiern – Magit Cacoon ist DJ und Technoproduzentin aus Tel Aviv. Sie fühlt sich dort und in Berlin zu Hause. Soeben ist ihr Debütalbum „Other Dimension“ erschienen
VON TIM CASPAR BOEHME
Getto Kreuzberg. Klingt erst einmal nicht gut. Nach abgeschottet, abgehängt. Unter einem solchen Tracktitel stellt man sich nicht unbedingt eine Liebeserklärung an einen Stadtteil vor. Bei der Produzentin Magit Cacoon, die ein Stück ihres Debütalbums „Other Dimension“ so genannt hat, ist es aber genau in diesem Sinne gemeint. Sie wohnt in Kreuzberg, und das sehr gern.
„Ich lebe in einer Straße an der Grenze zu Mitte und lebe in einer Art Gettogebäude mit zehn Stockwerken“, beschreibt sie ihre Nachbarschaft. Freunde von ihr wohnen im selben Haus über ihr, unter ihr oder auf der Etage. „Es fühlt sich auf gute Weise wie ein Getto an, es ist unsere Gegend, unsere Zone.“
Magit Cacoon stammt aus Tel Aviv. Dort fing sie mit 19 Jahren an, als DJ zu arbeiten. Sie wurde damals von den Machern der Reihe „3rd Empire“ entdeckt und begann auf Partys in der Wüste Israels aufzulegen. „Ich war der Baby-DJ, die jüngste der ganzen Gruppe.“ Im Jahr 2006 erhielt sie dann die erste Anfrage aus Deutschland für einen DJ-Gig. In Dortmund. „Ich sollte mit einer richtig großen DJane spielen, Ida Engberg. Und die Musik, die damals aus Deutschland kam, war richtig gut.“
Daher wollte sie, wo sie schon einmal da war, unbedingt Berlin kennenlernen. Die Stadt, in der viele von ihr bewunderte Musiker wohnten. Erst blieb sie einen Monat. Dann pendelte sie ein Jahr lang zwischen Berlin und Tel Aviv. Als sie 2007 ein Künstlervisum und eine Arbeitserlaubnis für Berlin erhielt, zog sie ganz hierher.
Wenn man hört, wie Magit über ihre Erfahrungen mit Deutschen spricht, könnte man fast den Eindruck bekommen, dass es keine Antisemiten in Berlin gibt: „Ich wurde sehr herzlich empfangen. Mehr, als man es bei einer Person aus Israel in irgendeinem anderen Land erwarten könnte.“ Wenn sie Deutsche treffe und ihnen erzähle, dass sie aus Israel sei, würde sie jedes Mal auf Offenheit und Interesse stoßen. Das gelte umgekehrt auch für Deutsche in Israel. „Es gibt etwas zwischen uns, das in genauem Gegensatz zur früheren Generation steht.“
Magit sagt von sich selbst: „Ich bin nicht religiös, aber superjüdisch.“ Ihre Mutter ist orthodox, der Vater atheistischer Jude, der mehr an Darwin als an Gott glaubt. Ihre Eltern seien immer noch zusammen, sagt sie, „nur so nebenbei“. Und sie feiern freitags gemeinsam Sabbat. Ihnen gefalle die Idee, sich einmal in der Woche zu treffen und als Familie zusammen zu sein. Wenn sie später eine eigene Familie hat, möchte sie auch Sabbat feiern.
Sogar in Berlin feiert sie öfter mit Freunden aus Israel den Sabbat. „Wenn wir am Freitag freihaben, jemand von uns Lust hat zu kochen und wir uns ein bisschen näher an zu Hause fühlen wollen, dann machen wir das. Es hat jedoch nichts mit Religiosität zu tun.“ Angebote für DJ-Auftritte am Freitag würde sie schon gar nicht ablehnen.
Magit Cacoon gehört zu einer Generation von DJs und Produzenten, für die das Aufwachsen mit Techno etwas so Normales ist wie Rock oder Blues. In ihrer Musik geht es nicht um noch nie da gewesene Formen der Tanzmusik, sondern um ausgewogene Produktionen, denen man die Liebe zur Detailarbeit anhört. Die Bassdrum pumpt auf „Other Dimension“ rund und druckvoll, ohne platt zu knallen. Die Effekte drum herum sind unaufdringlich, lassen dezente Ansätze von Melodie erahnen, sodass ihre Tracks übersichtlich, doch nie karg klingen.
Alle Stücke hat sie gemeinsam mit dem Berliner Produzenten Oliver Deutschmann aufgenommen, dessen Studio besser als ihr eigenes ausgestattet ist. Magit bekennt sich zugleich zu ihrer Bewunderung für Deutschmanns Fähigkeiten. „Er ist mein Lieblings-DJ hier in der Stadt. Und ein erstaunlich smarter Produzent.“
Oliver Deutschmann ist einer der Künstler, den Magit Cacoon auf ihrem eigenen Label Girl Scout veröffentlicht hat. Sie nutzt das Label vornehmlich als Plattform für ihre Musik und die ihrer Freunde. Die Idee dazu kam ihr, als sie an einem Techno-Edit des Songs „Voyage 34“ der Prog-Rock-Band Porcupine Tree arbeitete – mit dem Segen des Bandchefs Steven Wilson, der ihr alle Originalklänge zur Verfügung stellte. Weil die Suche nach einem geeigneten Ort zur Veröffentlichung unerwartet schwierig gestaltete, beschloss sie, den Track selbst herauszubringen, zu ihren Bedingungen.
Als DJ legt sie in Berlin am liebsten in der Panorama Bar, dem Watergate, Kater Blau und Sisyphos auf. Im Sommer steht sie bevorzugt im Freien an den Plattentellern. Zweimal im Monat tritt sie in der Regel in der Stadt auf, und sie hat jede Menge Anfragen aus ganz Europa. Heute hat sie zwar einen Gig im Kraftwerk, zum 100. Jubiläum der Kosmetikfirma Maybelline, allerdings ausschließlich vor geladenem Publikum. Öffentlich ist sie in Berlin erst wieder am 26. Juni bei einem Abend ihres Labels Upon.You in der Reihe Beatport Live zu erleben.
■ Magit Cacoon: „Other Dimension“ (Upon.You)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen