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Lügen lindern Schmerz

MEDIZIN Gegen Schmerzen können Placebo-Behandlungen helfen. Der Erfolg der Therapie hängt davon ab, dass die Patienten daran glauben

Die schwarze Haube mit den eingearbeiteten Elektronen sitzt – es kann losgehen. Harald Bötchers Augen fokussieren einen roten Kreis, der über einen kleinen Monitor wabert und dabei Form und Größe verändert. Seine Aufgabe: Er soll den Kreis mithilfe seiner Gehirnströme beeinflussen.

Was wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film anmutet, hat einen ernsten Hintergrund. Böttcher hat Schmerzen – und das bereits seit vielen Monaten. „Ich bin Ärzte abgeklappert ohne Ende und man konnte nichts finden. Ich habe immer mehr Schmerzmittel genommen und das führte dazu, dass ich mich immer mehr zurückgezogen habe und nur noch mein Leben zu Hause verbracht habe“, sagte er dem NDR-Gesundheitsmagazin „Visite“. Von der Teilnahme an einer Studie am Hamburger Universitätsklinikum verspricht er sich Hilfe. Die sogenannte Neurofeedback-Behandlung soll es ihm ermöglichen, seine Schmerzen durch die Beeinflussung seiner Gehirnströme selbst zu lindern.

Was der ehemalige Manager zunächst nicht weiß: Alles ist Schauspiel. Ihm wird ein Video gezeigt. Doch seine EEG-Haube ist überhaupt nicht mit dem Computer verbunden. Die Neurofeedback-Schmerztherapie gibt es tatsächlich, bei Böttcher wurde sie jedoch nur zum Schein angewandt – eine Placebo-Behandlung. Doch obwohl die Behandlung nur ein Täuschungsmanöver ist, nehmen seine Schmerzen drastisch ab.

„Der Placebo-Effekt ist etwas, was jeder selbst mit seinem Körper herstellt. Das hat die Natur so eingerichtet“, erklärt die Leiterin der Studie, Regine Klinger, der taz. Durch ihre Arbeit mit der vorgetäuschten Neurofeedback-Behandlung hat die Medizinerin gezeigt, dass auch bei rein psychologischen Behandlungen ein Placebo-Effekt auftreten kann. Am stärksten sei die Wirkung jedoch, wenn Medikamente, Spritzen oder vorgetäuschte Operationen eingesetzt werden würden.

Schmerztherapeut Jan Storke bekräftigt, dass die gefühlte Linderung der Schmerzen keine Einbildung sei. „Das sind tatsächlich die gleichen Mechanismen wie bei einem Schmerzmedikament. Im Gehirn werden die gleichen Transmitter und Rezeptoren angesprochen.“

Doch der Placebo-Effekt wirkt nicht immer. Vor allem die Haltung des Patienten zur Therapie sei entscheidend. „Die Wirkung eines Medikaments kann um 50 Prozent gesteigert werden“ oder ganz ausbleiben, je nachdem ob der Patient der Arznei gegenüber positiv oder negativ eingestellt sei, erklärt Storke. Er fordert deshalb, dass Patienten genauer über Medikamente aufgeklärt werden müssen. Dabei sollten auch die positiven Effekte hervorgehoben werden – und nicht nur die unerwünschten Nebenwirkungen.  SOPHIA LIEBIG

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