: Philosoph mit tiefer Stimme
OPER Der Komponist Elliott Sharp hat in seiner Kammeroper „Port Bou“ die letzten Minuten im Leben Walter Benjamins vertont
Im September 1940 sitzt der Philosoph Walter Benjamin im spanischen Grenzort Portbou fest. Er ist auf der Flucht vor der Gestapo und will weiter nach Portugal, um von dort mit dem Schiff in die USA auszuwandern. Doch die spanischen Behörden lassen ihn nicht einreisen. In der Nacht vom 26. auf den 27. September nimmt sich Benjamin in seinem Zimmer im Hotel Francia de Portbou mutmaßlich das Leben. Die genauen Umstände seines Todes sind aber unklar. Sogar Mord schließen manche nicht aus.
Die letzten Momente in Benjamins Leben bilden den dramatischen Kern der Oper „Port Bou“ des US-amerikanischen Komponisten Elliott Sharp, der gegenwärtig als Fellow der American Academy in Berlin lebt. „Port Bou“, im vergangenen Jahr in New York uraufgeführt, erlebte am Samstag seine deutsche Erstaufführung im Konzerthaus.
Für seine Annäherung an Benjamin wählte Sharp eine äußerst kleine Kammerbesetzung: Als Sänger übernimmt der Bass Nicholas Isherwood die innere Stimme Benjamins, Klavier und Akkordeon sind die einzigen Instrumente auf der Bühne, Sharp selbst steuert aus dem Hintergrund Liveelektronik bei. Als Bühnenbild dient ein Videofilm der Künstlerin Janene Higgins.
Die Elektronik schlägt, die Klänge flirren
Die Bilder der Ouvertüre markieren den historischen Rahmen: Ein kaum getrübter blauer Himmel, am linken Bildrand sieht man, unscharf, vorbeiziehende Zugfenster, dahinter tauchen Wehrmachtstruppen auf. Dazu harte, tiefe Schläge der Elektronik, flirrende Klänge, Stimmengewirr. Sobald das eigentliche „Geschehen“ einsetzt, ändert sich das Bild. Man blickt in einen kargen Raum, rechts ein Fenster, an dessen Rahmen die Farbe so stark abgeblättert ist, dass es von außen gefilmt zu sein scheint. Auf der Wand tauchen Symbole auf, die sich wandeln: Ein Kirchenkreuz wird zum Davidstern, später mutiert dieser zu dem Buchstaben Aleph, der sich dann zum kompletten hebräischen Alphabet vervielfältigt. Obwohl sie Themen in Benjamins Leben und Werk lediglich andeuten – Judentum, Heilige Schrift –, wirken sie mit ihrer verdichteten Symbolik etwas didaktisch.
In der Musik untermalen Klavier und Akkordeon den Gesang mit flächigen Akkorden, gehaltenen, dissonanten Tönen, die sich regelmäßig zu spannungsgeladenen Massierungen steigern. Isherwood umkreist dazu in seinem Part nur wenige tiefe Töne – beeindruckend voluminös, aber auch ein wenig statisch. Die Entscheidung, Benjamin mit sonorem Bass sprechen zu lassen, begründete Sharp in einer anschließenden Fragerunde mit dem Satz: „Ich habe mir seine Stimme tief vorgestellt.“
Überflüssiges rausschmeißen
Benjamin habe seine, Sharps, Art, zu denken, stark verändert, so Sharp, besonders der Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“. Eine Oper über Benjamin wollte er seit Langem schreiben, anfangs für großes Orchester und mit Chor. Dann sei er mehr und mehr dazu übergegangen, „Überflüssiges rauszuschmeißen“.
Aber sowohl „Die Aufgabe des Übersetzers“ als auch Benjamins medientheoretischer Grundlagentext „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ sind in „Port Bou“ eingeflossen.“
Etwa die Zeile „Fiat ars, pereat mundus“. Der Wahlspruch der faschistischen Futuristen, dem zufolge die Kunst sogar den Untergang der Welt in Kauf nehmen solle, ist im Nachwort zum „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ zitiert. Benjamin kritisiert ihn als Ausdruck der Selbstentfremdung der Menschheit, die ihre eigene Vernichtung „als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben“. In „Port Bou“ ist ebendieser Gedanke vielleicht allzu elegant verkürzt auf einen inneren Dialog: Auf „Fiat ars, pereat mundus“ entgegnet Isherwood knapp: „Nein!“ Ende.
TIM CASPAR BOEHME
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen