: „Der Klang spielt eine geringe Rolle“
VINYL Maurice Summen vom Label Staatsakt schwärmt von der Sinnlichkeit der Schallplatte – und räumt dennoch mit Mythen auf
■ 41, ist Labelbetreiber, arbeitet als Autor, Journalist und Musiker (Die Türen, Der Mann). Er ist im westfälischen Stadtlohn geboren und lebt seit 2001 in Berlin.
taz: Herr Summen, Sie veröffentlichen weiterhin beharrlich Vinylalben auf Ihrem Label und bedienen einen Nischenmarkt. Warum? Maurice Summen: Vinyl ist das Format, das uns am meisten am Herzen liegt. Trotz des Nostalgieverdachts, unter dem diese Leidenschaft steht: Mit Vinyl sind Leute wie ich in den Indiesubkulturen sozialisiert worden, das findet man gut. Mir macht Vinyl auf jeden Fall am meisten Spaß. Und den Musikern und Produzenten, auch den Grafikern, Fotografen und Designern geht es so. Also geht es auch um die Größe des Formats? Ja, aber auch um die Klangqualität. Das Frequenzspektrum ist nicht so groß wie bei einer CD. Es ist dieser klassische, gedeckt klingende Sound der Siebziger – den mögen viele, glaube ich. Dennoch hat das Vinylcomeback wenig mit dem Sound zu tun – oder? Stimmt, der Klang spielt eine geringe Rolle. Es gibt viele Leute, die sich das Vinyl kaufen, dann das Album aber digital hören, wenn ein Downloadcode dabei ist. In dem Fall geht es dann ums Fetischobjekt – das ist vergleichbar mit der gebundenen Buchausgabe oder dem Coffee-Table-Book. Und was ist das Besondere, wenn man die Platte auflegt? Die Schallplatte ist ein sinnliches Objekt. Heute, wo man oft die ganze Zeit nur vor dem Rechner hockt, setzt man sich zwischen Exceltabelle und Facebook gern mal hin und widmet sich etwas Haptischem. Es hat etwas Kontemplatives. Wie hoch ist denn der Anteil der Vinylauflage bei Staatsakt-Releases? Zwischen 20 und 30 Prozent der verkauften Auflage sind bei uns Vinyl. Wir legen aber auch jeder Vinylveröffentlichung eine CD bei. Weitere 20 bis 30 Prozent sind Downloads – und der Rest sind immer noch CDs. In Deutschland hält sich die CD erstaunlich gut am Markt. Der Deutsche hat irgendwann mal seinen CD-Player gekauft, der hält, der läuft wie ’ne Eins – und dann wird auch das zehnte, elfte und zwölfte Tocotronic-Album auf CD gekauft. Interessanterweise kenne ich fast nur noch Vinyl- und Downloadnutzer und kaum CD-Käufer – aber es muss sie ja geben …Aus kaufmännischer Sicht ist Vinyl eher ein Luxus, den man sich als Label leistet, oder? Ja, die Vinylherstellung ist sehr teuer, die Gewinnmarge wesentlich geringer. Da kommt man locker auf fünf Euro Herstellungskosten. Bei einer CD ist man teilweise bei unter einem Euro, bei einem Download ist’s noch weniger. An CDs und Downloads verdienen wir wesentlich mehr, wir müssen also viele davon verkaufen, um schöne und ansprechende Vinylausgaben machen zu können, die man ohne böses Aufschrecken im Schlaf verantworten kann. Welches ist denn die schönste Platte, die Sie bislang herausgebracht haben? Ich selbst bin großer Fan der Vinylausgabe des „DMD KIU LIDT“-Albums von Ja, Panik. Daniela Burger hat es designt. Aktuell finde ich „Wir sind der Mann“ von Der Mann – gestaltet von Helmut Kraus – extrem gelungen. Für den Kunden ist Neuvinyl doch meist ziemlich teuer! Genau – das ist auch ein Problem. Eine Schallplatte, die 20 Euro kostet, muss man sich erst mal leisten können. Ich bin ja auch deshalb im Pop gelandet, weil ich wollte, dass die Musik den einfachen, normal verdienenden Leuten zugänglich ist – deshalb bin ich dafür, dass es immer auch günstigere Formate gibt. Wäre denn ein Label, das ausschließlich Vinyl herausgibt, kommerziell überhaupt überlebensfähig? Nein, das glaube ich nicht. Dann müsste man schon einen extrem hochwertigen Katalog haben. Gibt es Veröffentlichungen bei Ihnen, die ausschließlich auf Vinyl herauskommen? Ja, unsere Releases, die wir gemeinsam mit dem Golden Pudel Club herausbringen – die Pudel-Produkte-Maxis – gibt es nur auf Schallplatte. Genauso manche Singleformate wie etwa von Carsten „Erobique“ Meyer. Was halten Sie von Aktionstagen wie dem Record Store Day? Der Record Store Day nimmt inzwischen extreme Ausmaße an. Die Labels produzieren Extrareleases wie irre, was dazu führt, dass die Presswerke überlastet sind. Wir müssen deshalb auf normale Releases länger warten. Und man darf auch nicht vergessen, welche Nische Schallplatten trotz steigender Absatzzahlen immer noch sind. Musik wird ja heute eigentlich über Amazon, iTunes und Spotify konsumiert – von daher verzerrt die große Aufmerksamkeit am Record Store Day auch immer ein bisschen, wie es den Rest des Jahres in den kleinen Plattenläden aussieht. INTERVIEW: JENS UTHOFF
■ Das Berliner Independentlabel wurde 2003 von Maurice Summen und Gunther Osburg gegründet (beide von der Band Die Türen). Seit 2009 wird Staatsakt von Summen alleine geführt.
■ Beim Label, das in Prenzlauer Berg seine Büros hat, veröffentlichen unter anderem Jens Friebe, Christiane Rösinger, Friedrich Liechtenstein, Die Sterne, Hans Unstern oder Ja, Panik ihre Alben.
■ Staatsakt ist eines der erfolgreichsten Berliner Indielabels der jüngeren Zeit. (jut)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen