: Deichbau auf den Brettern
Sie findet Umweltschutz wichtig, aber moralisieren will sie nicht: Jorinde Dröse inszeniert in Hamburg Theodor Storms „Schimmelreiter“. Der kündet von der Allmacht der Natur und ist mithin als Umweltstück nur bedingt geeignet. Genau das macht die Ambivalenz der Inszenierung aus
VON PETRA SCHELLEN
Über Deichbau wird ja eher wenig geschrieben, zumindest im Bereich der Belletristik. Theaterstücke zum Thema sind noch seltener. Das ist bedauerlich: Überflutungen mehren sich allerorten, während das Theater stets der Inaktualität geziehen wird. Andererseits ist nicht jede Bühne willens, eine Inszenierung im Stile Al Gores auf die Bretter zu stellen, vielleicht gar als gefällige Mischung aus Moralapostel- und Erlösungspredigertum.
Angesichts eines so flächendeckenden Mangels ist es erfreulich zu hören, dass das Hamburger Thalia Theater jetzt ein Stück aufführt, das sich dem Thema ausführlich widmet: Den „Schimmelreiter“ von Theodor Storm wird Jorinde Dröse dort inszenieren – eine auf den ersten Blick unpassende Besetzung, wenn man bedenkt, dass Dröse es nach eigenem Bekunden „eher laut und lustig“ liebt und jetzt mit Storms kargem Stil konfrontiert war.
Natürlich fesselt an dessen Novelle, das gibt die Regisseurin zu, wesentlich das Umweltthema. „Das“, sagt sie, „macht die Geschichte aktuell.“ Didaktische Ambitionen hegt sie aber nicht. „Das brauche ich nicht. Das Stück spricht für sich. Und wir stellen uns auch nicht mit der Spendenbüchse ins Foyer“, sagt Dröse. Das alles sei überflüssig, denn das Stück positioniere sich klar genug, jene Novelle über den progressiven Deichgrafen Hauke Haien, der gegen die Dorfbewohner ein Teilstück neuen Deichs durchsetzt, den schließlich die Sturmflut von 1765 überrollt. Zwar bröckelt der neue, dem alten vorgelagerte Deich nur, weil er heimlich durchstochen wurde. Vielleicht bricht er auch, weil die Dorfbewohner beim Bau keinen lebendigen Hund vergraben konnten – ein Aberglaube, den sich Haien verbat.
Ambivalent bleibt die Lage in jedem Fall, und Tatsache ist: Der menschliche Versuch, Natur zu zähmen, fruchtet nicht – sei es aus Uneinigkeit, Unfähigkeit oder unglücklichen Zufällen. Als Appell zur Bändigung von Natur und zum Schutz von Umwelt taugt der „Schimmelreiter“ also nur bedingt. Er bietet sich allenfalls für entsprechende Reflexionen an, nicht als Warnung oder Prophetie. Jorinde Dröse hat das verstanden und versucht gar nicht erst, Storms Ambivalenzen aufzulösen und schlichte Antworten zu geben.
Auch die Frage, ob Storm nicht sowohl Konservative als auch verbissene Öko-Freaks Lügen straft, weil die Natur schlicht alles überrollt, löst die Inszenierung nicht. Sie tippt das Thema an, spannt es als Hintergrundfolie vors Geschehen – und fokussiert gleich die nächste Ebene: den Konflikt zwischen Hauke Haien und den Dorfbewohnern. Auch der lässt sich nicht schlicht als Widerstreit zweier Antagonisten lesen, sondern als Begegnung eines sozial inkompetenten Deichgrafen und einer misstrauischen Gemeinschaft. Hauke Haien kann die Einheimischen nicht überzeugen, weil ihm Feingefühl und diplomatisches Geschick fehlen. Er scheitert letztlich auch an sich selbst, wird hasserfüllt und verbissen und resigniert – was sich durchaus als Parabel auf arrogante Weltverbesserer lesen lässt und andererseits von der Bremswirkung zeugt, welche die (Basis-) Demokratie haben kann.
Doch wer über solch Gesellschaftspolitisches reflektiert, ist bei Jorinde Dröse an der falschen Adresse. Sie will erzählen, nicht agitieren. Sie hat zwar in Husum versucht, einen Deich zu besichtigen und alles „enttäuschend betoniert“ vorgefunden. Sie ist vor Jahren auch mal fast in einer Art Malstrom ertrunken und hat seitdem enormen Respekt vor dem Meer. Doch über Umweltschutz zu reden genügt ihr nicht. Das Faszinosum Theodor Storm reicht für sie tiefer: Sie reizt die Sprödheit von Sprache und Story. Etwa die der Romanze zwischen Hauke und Elke, die jahrelang aufeinander warten – „ein wunderbares Gegenmodell zum heutigen Beziehungskonsum“, sagt Dröse.
Wie aber Storms Sprache bewahren und trotzdem ein Theaterstück machen? Wie eine Novelle fast ohne Dialog für die Bühne adaptieren und Beschreibungen in fesselnd Gesprochenes verwandeln? Thalia-Dramaturg und Autor John von Düffel hat eine Bühnenfassung des „Schimmelreiters“ erarbeitet, die Storm behutsam mit Moderne mischt. Aber ein unübersetzbarer Rest bleibt: die Landschaftsbeschreibungen. „Die sind schwer auf die Bühne zu übertragen“, räumt Dröse ein. „Das hat dann schon mit dem Zulassen von Pathos zu tun.“ Allerdings kein speziell norddeutsches: „Mit Lokalpatriotismus arbeite ich nicht“, sagt Dröse. „Ich setze keine Chiffren, die auf das bröckelnde Sylt oder so etwas hindeuten.“
Was es aber sehr wohl geben wird: Wasser – in großen Mengen. Im Planschbecken alias Meer von unten, als Regen von oben, vielleicht auch noch von der Seite, wer weiß. „Den Umgang mit Wasser möchte ich zur sinnlichen Erfahrung machen“, sagt Dröse. Will sagen: Es wird kein gespieltes Nasswerden und Frieren geben, sondern echtes.
Das kann man natürlich schon wieder als Parabel auf den Einbruch des Unberechenbaren ins Leben deuten. Aber das Denken in „Was-wäre-wenn“-Kategorien ist Dröses Sache nicht. Sie möchte in Bildern erzählen, nicht psychologisieren oder deuten. Sie räsonniert auch nicht über die Frage, ob Haien, der sich in den brechenden Deich stürzt, ein verspätetes Lebend-Opfer ist. Sie möchte einfach eine packende Geschichte zeigen – und hier liegt das Problem: „Ich habe Schwierigkeiten mit dem Schweigen“, sagt sie am Tag vor der Premiere. „Das Stück geht mir noch zu schnell. Deshalb wollen wir heute probieren, wie viel Pausen da noch hineinkönnen.“ Ein Werkzeug, das Jorinde Dröse nicht so liegt. Und genau deshalb um so stärker wirken könnte: Weil es ein vom Munde abgespartes Schweigen ist. Ein widerwillig akzeptiertes, dem Stück aber inhärentes Schweigen, das die Spannung steigert.
Premiere: Sonnabend, 20 Uhr, Hamburg, Thalia Theater
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen