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nebensachen aus kairoSibirische Kälte in der arabischen Wüste

In diesem Teil der Welt beschweren sich die Menschen normalerweise über die stehende Hitze und den gnadenlosen Sonnenschein. Doch in diesem Monat ist alles anders. Die Temperaturen in Kairo waren zeitweise niedriger als in Deutschland. In Bagdad ist das erste Mal seit Menschengedenken Schnee gefallen. Kuwaitische Meteorologen warten gespannt, ob der Rekord von Minus vier Grad in der Wüste von 1964 gebrochen wird. In Teilen Saudi-Arabiens hat es gehagelt und in Mekka sind die Schulen wegen Regens geschlossen.

In Kairo halten sich seit Tagen Gerüchte, dass das Quecksilber dieses Jahr noch auf den Nullpunkt sinken werde. Nicht so schlimm, mag man in europäischen klimatischen Zonen denken. Weit gefehlt: Denn Heizungen sind für ägyptische Häuser mit ihren dünnen Wänden Fremdkörper, und durch die Fenster zieht es wie Hechtsuppe.

So ist es auch kein Wunder, dass die Kältewelle in der Region die ersten Opfer gefordert hat. Im Südlibanon fielen zwei ältere Menschen und ein Obdachloser der Kälte zum Opfer. In Saudi-Arabien starben mindestens 15 Menschen. Die meisten erstickten bei dem Versuch, sich vor einem Holzkohlenfeuer bei geschlossenem Fenster warm zu halten. Inzwischen haben die saudischen Medien eine Aufklärungskampagne gestartet, in der vor dem Verbrennen von Holzkohle in geschlossenen Räumen gewarnt wird. Und der saudische König Abdullah hat anordnen lassen, an Bedürftige Decken und Radiatoren zu verteilen.

Aber es gibt auch Positives über die Kältewelle zu vermelden. „Das ist der Beginn eines neuen Irak“, erklärte ein irakischer Verkehrspolizist, während er unter einem Balkon Schutz vor dem Schneefall suchte. Ähnlich äußerten sich auch andere Iraker über die nassen, schweren „Schneeflocken der Hoffnung“. Eine Reporterin der Fernsehstation al-Dschasira erzählt in ihrem Internettagebuch, wie sie an diesem Morgen statt vom Hall der Granaten von der ungewöhnliche Stille des Schneefalls geweckt worden sei. Freuen können sich auch die Verkäufer von Elektroradiatoren und warmer Kleidung, deren Verkauf sich mancherorts in der Region verdreifacht hat.

Was den Grund des ungewöhnlichen Wetters angeht, sind sich die arabischen Meteorologen uneinig. Es liege am Klimawandel, meint der Direktor des meteorologischen Institutes in Bagdad, seine Kollege in Amman widerspricht. Wie auch immer: „Erinnert ihr euch noch an die Tage, an denen es zu warm gewesen ist“, lautet der Titel einer Kolumne in einer kuwaitischen Zeitung. Tatsächlich, man vermisst diese Tage, auch im ägyptischen Kairo. Man kommt verschwitzt nach Hause, greift zur Fernbedienung und wartet, bis der Kompressor der Klimaanlage anspringt. Vielleicht sind die Gase der Klimaanlage ein Grund für den Klimawandel. Doch jetzt geht es erst einmal darum, in Kairo nicht der sibirischen Kälte zum Opfer zu fallen. KARIM EL-GAWHARY

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