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Er tut was für die Ewigkeit

Erdenschweres Sentiment. Mit einer Achtelsekunde Belichtungsdauer und einer uralten Plattenkamera schaut der Fotograf Jim Rakete auf die Prominenz der Jetztzeit

Zugegeben: Man war schon mit einer gewissen Voreingenommenheit hinspaziert zu dieser Ausstellung. Denn die einstweilige Verfügung, die der Fotograf Jim Rakete gegen die Produzentengalerie „Rakete Berlin“ im Dezember erwirkte, hat doch ein überaus armseliges Gschmäckle. Rakete sah in der Existenz dieser Galerie eine Verwechslungsgefahr, die seiner „Mission“, wie er seine Arbeit im Magazin Art bezeichnete, abträglich sei. Im Besonderen ging es ihm um die Fotos von Torsten Solin, der bei Rakete Berlin digital bearbeitete Bilder von nackten Frauenbrüsten zeigte. Rakete führte aus: „Ich kann nicht hinnehmen, dass mich Leute anrufen und mir unterstellen, dass ich jetzt in Porno mache, nur weil da eine Galerie in Berlin unterwegs ist, die die ganze Zeit Fotokunst mit freigelegten Titten anbietet.“

Also gut. Er bekam Recht. Die im September 2007 eröffnete Galerie in der Brunnenstraße nennt sich jetzt „Komet Berlin“, sammelt Geld für die Prozesskasse und versendet Einladungen mit dem scheuen Hinweis: „the gallery formerly known as Rakete Berlin“. Und der 56-jährige Berliner Szene-Impresario der Achtzigerjahre (Manager von Nina Hagen, Nena, Spliff, Die Ärzte) und vielleicht neben Peter Lindbergh einzige großkopferte deutsche Promifotograf, zeigt neue Arbeiten in der geschniegelten Galerie „Camera Work“, zu kaufen für Beträge zwischen 1.600 und 7.900 Euro.

Ein ganzes Jahr hat Rakete damit verbracht, für das Projekt „1/8 sec. – Vertraute Fremde“ eine uralte Plattenkamera auf das prominente deutsche Personal der Jetztzeit zu halten. Riesige, fast ausgestorbene Negative hat er eine Achtelsekunde lang – eine kleine Ewigkeit für ein Foto – belichtet, höchstens zehn Versuche hatte er pro Shooting. Die Porträtierten mussten vor allen Dingen stillhalten. Dafür bekamen sie dann ein Schwarzweißbild von sich, das wohl im klassischen Sinne schön zu nennen wäre: weich, satt und erhaben, scharfgestellt meist auf die Augen, die ausdrucksvoll aus den aufgrund geringer Tiefenschärfe cremig zerfließenden Gesichts- und Körperkonturen hervortreten. Man merkt den Bildern das Stillgestellte an – die Protagonisten strahlen oft eine Spannung des Innehaltens aus, die nichts mit einem Schnappschuss zu tun hat. Sie scheinen, wie der Fotograf auch, meist die von der behäbigen Kamera auf ihrem Stativ transportierte Tragweite des großen Klickmoments zu genießen, dieses erdenschwere Sentiment des „Wir tun etwas für die Ewigkeit“. Da kann Rakete noch so viel reden – kein Styling, keine Maske, nur die Energie des Moments. Seine Fotos, besonders die von Schauspielern, sind meistens Monumente unangenehm ernster Selbstwichtignahme.

So küsst Jürgen Vogel im Seitprofil ein Kreuz, Hannah Herzsprung hält sich eine Rose an die Stirn, Anna Maria Mühe hatte vor dem Bode-Museum spontan eine Posaune zur Hand, Sebastian Koch lehnt an einem dicken Motorrad, und Meret Becker schwebt gleich, ganz Grazie im Ballerina-Outfit in einem Zirkusring. Zum Glück steht zwischen all den Jung- und Altstars, den Popgruppen, Künstlern und Medienleuten wenigstens Fatih Akin einfach nur im Regen.

Und zum Glück gibt es in der Ausstellung noch die etwas älteren Politikerfotos. Denn im Gegensatz zu den Schauspielern schaffen die es oft nicht, sich bruchlos durchzuinszenieren. So scheint Franz Müntefering, wie er mit seiner Aktentasche durch eine Allee schlendert, kurz vor einem Lachkrampf zu stehen und Angela Merkel am Rand der amüsierten Ungeduld. Und Richard von Weizsäcker hat keine Lust, eine Achtelsekunde stillzuhalten und wischt mit seiner Hand einfach mitten durch Jim Raketes Bild. KIRSTEN RIESSELMANN

Bis 1. März, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Camera Work, Kantstr. 149

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