: Märchen oder Albtraum?
Ein ambitionierter Bürgermeister will das größte Tourismusresort Europas aus dem Boden stampfen. Ausgerechnet in „Hessisch-Sibirien“ soll ein gigantisches Ferienresort mit allen Freuden der schönen neuen Freizeitwelt entstehen
VON GEORG ETSCHEIT
Es war einmal ein Bürgermeister einer kleinen Stadt. Der war es leid, sich immer nur um Kanaldeckel oder Straßenlaternen kümmern zu müssen. Deshalb beschloss er, seinen Bürgern einen Ferienpark zu schenken. Groß sollte der werden, größer als fast alles, was es bisher in Europa gibt. Und für die Bürger der kleinen Stadt sollten viele neue Arbeitsplätze abfallen und viele schöne Aufträge für die lokale Wirtschaft. Und irgendwann, so träumte der Bürgermeister, würde ein Denkmal gebaut in dem Ferienpark, das daran erinnern würde, dass er, der Bürgermeister der kleinen Stadt, Großes geschaffen hat.
Was hier erzählt wird, ist kein Märchen, eher schon ein Albtraum. Der Bürgermeister heißt Heinrich Sattler. Und die kleine Stadt ist Hofgeismar, ganz im Norden von Hessen, wo es viel regnet und ziemlich kalt ist, weswegen die Gegend auch von Spöttern „Hessisch-Sibirien“ genannt wird. Die Schätze von Hofgeismar mit seinen gut 16.000 Einwohnern bestehen aus einem stattlichen Rathaus, einer hübschen Pfarrkirche, ein paar bunten Fachwerkhäusern und einem großen, fast unberührten Waldgebiet, dem Reinhardswald. Früher trieben die Bauern ihre Schweine zur Eichelmast in diese Wälder. Unweit der Sababurg – eines früheren Jagdschlosses der Landgrafen von Hessen – liegt eines der ältesten Naturschutzgebiete Deutschlands, ein Urwald mit bis zu 600 Jahre alten Baumriesen. Die Sababurg gilt als Prototyp des „Dornröschenschlosses“ und liegt nicht zufällig an der „Deutschen Märchenstraße“. Schließlich hatten die Brüder Grimm 30 Jahre lang in Kassel gewirkt und auch im Reinhardswald nach alten Sagen geforscht. Doch nun könnte man meinen, dass das Märchen vom Goldesel, der Dukaten speit, viel besser zu dem passt, was sich gerade dort abspielt.
Inmitten dieser reichen Natur- und Kulturlandschaft also will Sattler auf 800 Hektar Fläche eines der größten Ferien-„Resorts“ Europas klotzen: nicht weniger als fünf Hotels, vier Golfplätze, eine künstliche Seenplatte, ein Reitsportzentrum samt Ponyhof, Trabrennbahn und Poloplatz, dazu Konferenzzentrum, „Beachclub“, einen zentralen „Marktplatz“ mit Shoppingmöglichkeiten sowie 600 Ferienhäuser in sechs Retorten-„Dörfern“. Kein „Rummelplatz“, sondern ein „Premium-Standort“ werde das „Schloss Beberbeck Resort“. „Medical, Wellness, Beauty, Golfing“ – dem CDU-Kommunalpolitiker perlen die schönen PR-Botschaften nur so von den Lippen. 7.100 Gästebetten sollen entstehen, eine halbe Million Übernachtungen generiert werden. Und nicht zu vergessen: Mehr als 1.000 Arbeitsplätze soll das Ferien-Resort schaffen in der üblicherweise als „strukturschwach“ beschriebenen Region.
Standort für das Megaprojekt ist die Domäne Beberbeck, nur einen Steinwurf entfernt von der Sababurg. Das frühere Gestüt der hessischen Landgrafen liegt in einer Rodungsinsel des Reinhardswaldes. Es beherbergt heute eine Landwirtschaft und ein Altenheim und gehört dem Land Hessen. Noch. Denn im vergangenen Herbst entschied der Haushaltsausschuss des Hessischen Landtages mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD, dass die Domäne einer eigens von der Stadt Hofgeismar gegründeten Besitzgesellschaft zum Vorzugspreis von 9,2 Millionen Euro verkauft werden soll. Für „Erschließungsinvestitionen“ will die Landesregierung nochmal 30 Millionen lockermachen. Auch Sattlers CDU-Kollege Roland Koch schwärmt von einem weiteren „Leuchtturmprojekt“ in Nordhessen neben dem, gleichfalls stark umstrittenen, Ausbau des Provinzflugplatzes Kassel-Calden zum Regionalflughafen.
Auf den Geschmack gebracht hatte Sattler ein Kölner Architekturbüro, das sich auf Ferien-Resorts in aller Welt spezialisiert hat. Eigentlich war, um den Tourismus in der Region anzukurbeln, zunächst nur geplant, die Sababurg zur „Ritterburg“ umzubauen. Doch dann fiel der Blick der Planer auf die Domäne Beberbeck. „Das Gelände ist ideal. Wir schaffen hier eine ganz neue Destination“, sagt Architekt Tom Krause. Seit die Pläne für den Vergnügungspark öffentlich sind, herrscht in der Region eine Goldgräberstimmung. Viele Handwerksbetriebe vom Zimmerer und Maurer bis zum Bäcker hoffen, beim Bau des 400-Millionen-Euro-Projekts und beim späteren Betrieb kräftig mitzuverdienen. Widerspruch aus der ortsansässigen Bevölkerung gibt es kaum. Kein Wunder, wird das „Schloss Beberbeck Resort“ in einem opulenten Hochglanzprospekt und auf sogenannten Informationsveranstaltungen doch als „wahres Märchen aus dem Herzen Deutschlands“ angepriesen.
Die Naturschützer sind entsetzt von der Gigantomanie des Hofgeismarer Bürgermeisters. „Die ganze Sache ist völlig überdimensioniert und weder natur- noch kulturverträglich. Da wird ein Stück Heimat unwiderruflich zerstört“, schimpft Otto Löwer vom Landesvorstand des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Hessen. Anfang Dezember 2007 meldeten sich erstmals alle drei großen hessischen Naturschutzorganisationen zu Wort: neben dem BUND der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON). Die Pläne für das Tourismus-Resort bedeuteten einen „in der 60-jährigen Geschichte Hessens beispiellosen massiven Eingriff in Natur und Landschaft“, heißt es in alarmierendem Tonfall. Ganz sperren wollen sich die Ökologen aber nicht gegen eine touristische Nutzung der Domäne. Großzügige „Tabu- und Pufferzonen“ sollen verhindern, dass der ganze Reinhardswald mit seiner wertvollen Flora und Fauna, die zum Teil unter europäischem Schutz steht, in Mitleidenschaft gezogen wird.
Die Bedenken der Umwelt- und Heimatschützer pariert Sattler, der schon dieses Jahr den ersten Spatenstich setzen will, gelassen. Beberbeck werde nicht nur ein touristischer, sondern auch ökologischer Leuchtturm werden. Die künstlichen Seen sollen, zumindest teilweise, mit Regenwasser gefüllt werden, das man von den Dächern der Hotels ableiten will. Die Energie für das Monsterprojekt soll – ein wenig Balsam auf die Seelen der Ökos – aus erneuerbaren Quellen kommen.
Von den hessischen Oppositionsparteien ist nur die (außerparlamentarische) Linke gegen das „größenwahnsinnige Projekt“. Die Grünen winden sich, wollen sie doch nicht in den Ruf kommen, der Bevölkerung im wirtschaftlich gebeutelten Nordhessen die Zukunftschancen zu verbauen. Der Ökopartei ist das Vorhaben zumindest einige Nummern zu groß geraten. „Wir würden uns eher eine Perspektive für sanften Tourismus in dieser Region wünschen“, sagt die nordhessische Landtagsabgeordnete Sigrid Erfurth. Die Politikerin zweifelt auch am ökonomischen Sinn der Veranstaltung. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das rechnet. Wollen die Leute wirklich zum Baden nach Nordhessen fahren?“
Was den Planern jetzt noch fehlt, ist das Wichtigste: finanzkräftige Betreiber und Investoren. Bislang soll nur der Hotelkonzern Kempinski Interesse am Betrieb der beiden Fünf- und Vier-Sterne-Hotels angemeldet haben – eine Bestätigung des Konzerns dafür war allerdings nicht zu erhalten.
Heimat- und Naturschützern bleibt jetzt nur eine Hoffnung: dass sich niemand findet, der die vielen Millionen für Beberbeck aus der Tasche zieht. Der ambitionierte Bürgermeister Sattler ist derweil nicht zu bremsen. „Pfingsten 2011 feiern wir hier das Grand Opening.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen