DAS RUSSLAND UM PUTIN HAT WIEDER MAL RECHTSBEUGUNG BETRIEBEN: Aus für eine Wahlalternative
Das Aus kam nicht unerwartet, doch nun ist es amtlich. Russlands Zentrale Wahlkommission (ZIK) kippte Michail Kasjanow aus dem Rennen. Der Expremier wollte an den Präsidentschaftswahlen im März als Kandidat für all jene teilnehmen, die Demokratie und offene Gesellschaft in Russland trotz trauriger Erfahrungen grundsätzlich für möglich halten. Ein verschwindend kleines Häuflein von Gleichgesinnten, das es bestenfalls auf ein paar Prozentpunkte gebracht hätte. Kasjanow ging es ums Prinzip: Dabei sein ist alles. Auch der ZIK, die von einem Vertrauten von Putin geleitet wird, ist selbstverständlich an Prinzipien gelegen. Sie warf Kasjanow aus dem Rennen, weil angeblich 13 Prozent der mehr als 2 Millionen Unterschriften, die für eine Registrierung erforderlich sind, nicht dem Reinheitsgebot entsprachen.
Vorschrift ist nun mal Vorschrift, sagen sich ZIK und Kreml. Dies macht natürlich stutzig in einer Gesellschaft, die Penibilität seit Jahrhunderten als deutschen Import zutiefst verachtet und sich auf ein humaneres „Ungenauigkeitsethos“ beruft.
Die Begründungen sind vorgeschoben. Jedes autoritäre System ist bemüht, Rechtsbeugung im großen Maßstab durch Setzen von i-Tüpfelchen und Achtung des Buchstabens zu vertuschen. Das ist russische Tradition und wahrlich keine Erfindung Wladimir Putins. Der Jurist hat es vielmehr mit der Muttermilch aufgesogen.
Recht ist ein Sanktions- und Herrschaftsinstrument, kein Mechanismus zur Regulierung widersprüchlicher Interessen im Sinne des Gemeinwohls. Denn auch das existiert dort nicht, wo Präsident und Clans ihre Interessen für staatliche ausgeben können. Weil dies so ist, hat der Kreml selbst vor einer so zarten Stimme wie der Michail Kasjanows Angst. Ein paar Minuten TV-Sendezeit würden dem gekürten Kremlmann Dmitri Medwedjew kaum eine Stimme rauben. Von außen erschienen die Wahlen sogar etwas offener. Doch darum geht es längst nicht mehr, die Psychologie ist entscheidend. Die Elite bekäme das Gefühl, nicht mehr der Herr im Haus zu sein. Ein ungutes Omen, wo ohnehin die Furcht regiert. KLAUS-HELGE DONATH
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