: Aufwärtstrend gestoppt
Hannover 96 vergisst beim 2 : 2 gegen Karlsruhe alle Tugenden vergangener Spiele, verwechselt sogar Freund und Feind – und verliert seinen bis dato gut gepflegten Ruf als „Überraschungsteam“
VON KLAUS IRLER
Endlich Halbzeitpause, muss sich der Stadionsprecher gedacht haben. Endlich Schluss mit dem unkoordinierten Gekicke da unten auf dem Rasen. Viel erfreulicher ist es da doch, für die Großbildleinwand in der Pause junge, hartgesottene 96-Fans zum Thema Lieblingsverein zu interviewen. „Und hier haben wir einen jungen weiblichen Fan“, spricht der Stadionsprecher in sein Mikro. „Wie heißt du?“ „Nicolas“, sagte der junge weibliche Fan und zu vermuten steht, dass Nicolas die Verwechslung – seine langen Haare waren der Grund – nicht nur lustig fand.
Dabei ging es dem Stadionsprecher wie dem Team von 96: Die Hannoveraner taten sich immer wieder schwer damit, bei der Unternehmung „Passspiel“ zu erkennen, wen sie da vor sich hatten – den Teamkollegen oder den Gegner. Es war nichts mehr übrig von der spielerischen Qualität, die 96 noch vorletztes Wochenende beim Rückrundenauftakt gegen den Hamburger SV gezeigt hatte. Gegen den Karlsruher SC stand es nun am Ende 2 : 2 – ein Ergebnis, mit dem das Team nach einer „katastrophalen Leistung“ (96-Stürmer Mike Hanke) durchaus noch gut bedient war.
Es waren in der ersten Hälfte fast nur die Standardsituationen, mit denen 96 Torgefahr entwickeln konnte, und es lag durchaus nicht in der Luft, dass Hannovers Hanno Balitsch in der 44. Minute das 1 : 0 für Hannover erzielte, indem er einen Freistoß von Arnold Bruggink aus kurzer Distanz über die Linie drückte. Entsprechend schnell kippte das Spiel in der zweiten Halbzeit: Der spielerisch gewitztere KSC ging durch Tore von Joshua Kennedy (61.) und Regisseur Thomas Hajnal (64.) in Führung und vergeigte anschließend gleich mehrere sehr gute Konterchancen.
Dafür gelang dem frisch eingewechselten Jan Rosenthal in einer turbulenten Schlussphase der Ausgleich durch einen sehenswerten Schuss aus 16 Metern (87.). Und in der Nachspielzeit hätte 96 sogar fast noch gewonnen: Mike Hanke verwandelte einen Eckball per Kopf, Schiedsrichter Knut Kircher allerdings erkannte den Treffer wegen angeblichen Foulspiels Hankes nicht an. Vorausgegangen war dem Eckball minutenlanges, mit diversen Verwarnungen bedachtes Gerangel beider Teams im Strafraum.
Für 96-Trainer Dieter Hecking war „das 3 : 2 kein Foulspiel, sondern eine Konzessionsentscheidung“, nachdem Hannovers Arnold Bruggink nach einer Notbremse in der ersten Halbzeit eigentlich Rot hätte sehen müssen. Was Hecking aber deutlich mehr beschäftigte als die Leistung des Schiedsrichters, war die Leistung seiner Mannschaft: „Wir haben heute nicht gut gespielt. Wenn man sein Potenzial nicht abruft, dann wird’s ein Gewürge.“ Vor allem das mangelnde Spieltempo und die vielen Abspielfehler in der Vorwärtsbewegung bemängelte Hecking. „Aber mit solchen Spielen müssen wir leben, weil wir einen Reifeprozess durchlaufen müssen.“
Bestätigt sehen kann Hannover 96 nach dem Spiel, dass das Team eine Stärke beim Ausnutzen von Standardsituationen hat – es herrscht Lufthoheit dank insgesamt sieben kopfballstarker Spieler. Außerdem hatten die Einwechslungen von Trainer Hecking funktioniert: Er brachte in der zweiten Halbzeit mit Christian Schulz, Jan Rosenthal und Vahid Hashemian drei neue Spieler, wobei Rosenthal den 2 : 2-Ausgleich auf Vorarbeit von Schulz hin bewerkstelligte.
Gegen die Bayern will Hannover am kommenden Sonntag nun den Ruf als Überraschungsteam wieder aufpolieren. Vielleicht feiert dann auch Valérien Ismaël gegen seinen Ex-Club das Debüt im 96-Trikot. Gegen Karlsruhe saß der Franzose erneut nur auf der Bank. Aber „er ist fit und wird irgendwann seine Chance erhalten“, sagt Hecking.
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