: Jedermann sein Instrument
Ich möchte lieber nicht: Im Tacheles zeigt die neu gegründete Theatergruppe Babylon Works Hermann Melvilles Erzählung „Bartleby“ als lustiges Musiktheater
Ich möchte lieber nicht. Nicht zuletzt, dass dieser Satz aus Herman Melvilles Erzählung „Bartleby“ sich auf alles beziehen lässt, macht ihn so legendär. Melvilles sanftmütiger Schreiber, der zu allem „Ich möchte lieber nicht“ sagt, hat in den letzten Jahren eine ganz eigene Karriere im Diskurs der Kapitalismuskritik gemacht. Am nie begründeten Widerstand des Schreibers, der erst nur seine Arbeit von sich weist, später aber auch den Auszug aus dem Büro ablehnt, zerreibt sich das ganze System der Werteschöpfung. Einfach nur da sein, ohne sein Recht auf das Dasein irgendwie zu begründen, das geht nicht. Bartleby stand als Leitfigur schon ganzen Symposien vor, die sich der „Kraft der Negation“ widmeten.
Der Schatten seiner Rezeption also ist groß. Eine ganze Nummer kleiner zwar, dafür aber bunt und lustig schillernd ist die Lesart, die von dem neugegründeten Ensemble Babylon Works im Theatersaal des Tacheles vorgeschlagen wird. Ihre Erzählung von der Verweigerung durch Passivität ist einfach ein bisschen zu nett geraten, um jenen Grad der Verstörung durch Beharrlichkeit zu erreichen, für den die Figur berühmt ist. Jeder der Schauspieler hat sein Instrument dabei, tutet enthusiastisch den Arbeitstakt, der die Kanzlei, in der Bartleby Schreiber ist, zusammenhält, haut in die Klampfe für die nachmittäglichen Ausfälle des alkoholisierten Kollegen Puter, tanzt die Konkurrenz der Angestellten und die Einsamkeit des Chefs. Der ist im Übrigen eine Frau, die sich in ihr melancholisches Faktotum Bartleby auch noch verliebt.
Und alle singen. Da sitzt man da in seinem Sessel und denkt sich so diese und jene verschwiegene Bedeutung für den Satz „Ich möchte lieber nicht“ aus.
Dabei hat sich das Ensemble rund um den Regisseur Mathias Schönsee viel überlegt, um die Geschichte den heutigen Verhältnissen anzupassen. Können wir unser Leben wirklich nur mit Arbeit sinnvoll gestalten? Ist die Selbstverwirklichung nicht auch zu einer Norm geworden, die ebenso sehr Druck macht wie die Last der Arbeit? Was passiert unserer Sinnstiftung und Daseinsberechtigung, wenn uns keiner mehr arbeiten lässt?
Alle diese Fragen versuchen sie zwar nicht zu beantworten, aber zumindest durch die Zeichnung der Figuren ihre Sehnsüchte und ihre Ängste zu thematisieren. Deshalb schildert uns Bartlebys Kollegin Schluck detailliert ihre Sonntagsmorgensrituale, mit denen sie jeden Anschein von Leere und Nichtstun weit hinter den Horizont verbannt. Frühaufstehen, Brötchen kaufen, joggen, Chinesisch lernen, denn den Chinesen gehört die Zukunft. Deshalb ist Bartlebys Chefin eine Powerfrau mit Beziehungkrise, die sich zu Bartlebys Passivität fast bekehren ließe – würde er sich denn wenigstens auf Zweisamkeit einlassen. Für einige Momente träumen die beiden gemeinsam davon, die Zeit jedem Maß der Verwertbarkeit zu entziehen – sie wollen so lange auf das Glas eines Fensters schauen, bis sie seinen Fluss sehen können. Aber Bartleby hält die Gemeinsamkeit nicht lange aus. Als er sich dem auch verweigert, schreitet die Ateliergemeinschaft zu seiner Kreuzigung.
Die vielen Leitern, die auf der Bühne stehen, erfahren in der Schlussszene einen besonderen Sinn. Bartleby steigt selbst hinauf, auf sein Kreuz, das ist das Einzige, was er freiwillig tut. So wird er zu einer Art Büßer und Leidensfigur, der den hyperaktiven Schaffern ab jetzt wie ein schlechtes Gewissen im Nacken sitzt. Denn irgendwie haben sie ja immer den Verdacht gehabt, dass er recht haben könnte und ihr Fleiß sie nur davon abhalten soll, darüber nachzudenken.
An Hirnschmalz fehlt es der Inszenierung also eigentlich nicht und wirklich naiv ist sie auch nicht. Aber sie hat die Erzählung zu detail- und anekdotenfreudig umgesetzt, zu viele Stilmittel und Nummern hineingemixt, um am Ende ihren Punkt zu machen.KATRIN BETTINA MÜLLER
„Bartleby“, wieder am 16. + 17., 21.–24. Februar im Tacheles, jeweils 20 Uhr
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