Berliner Platten: Kryptisch gehaltener Indierock: Bei Delbo und The Aim Of Design Is To Define Space singt man in Deutsch und schert sich deswegen noch nicht unbedingt um Verständlichkeit
Der Diskurspop war ja an sich eine prima Idee und auch die Hamburger Schule durchaus eine ehrenwerte Institution. Aber jede noch so hehre Absicht kann ungewollte, ursprünglich nicht beabsichtigte Folgen zeitigen. Nehmen wir zum Beispiel Delbo und ihr neues, viertes Album „Grande Finesse“. Erstmals in der Geschichte des Trios ist der Bandsound weiter nach hinten gemischt und die Stimme von Bassist Daniel Spindler dadurch deutlicher herausgearbeitet. Die unvermeidliche Folge: Endlich entfalten die Texte ihre ganze poetische Pracht. Nun ist, deutlich hörbar, die Rede von „Körpern, die sich zu begreifen sehnen“, von einem „Meer aus tiefer Seligkeit“ und allerhand anderen angestrengten Verbalinjurien. Mancher hat das schon Sprachforschung genannt, andere finden, hier werden Versatzstücke verschoben an fremde Orte, um sie unkenntlich zu machen bis zur Kenntlichkeit – oder umgekehrt. Das kann man sicherlich so sehen. Wenn man will. Man kann aber auch meinen, dass hier jemand unbedingt Jochen Distelmeyer Konkurrenz machen will, aber dabei vornehmlich galoppierenden Blödsinn produziert wie in „Apricot“: „So sehr er sich auch verzehrt/ Da ist noch wer/ An diesem Ort/ Der in sich selbst verkehrt“. Was aber auch gar nicht schlimm ist, denn der Post-Indierock, den Delbo auch auf „Grande Finesse“ wieder spielen, ist weiterhin einzigartig hierzulande: fein ziseliert die Songkonstruktionen, geschmackvoll der dramaturgische Aufbau und abwechslungsreich die Rhythmik. Vor allem Gitarrist Tobias Siebert, sonst bei Klez.e, darf das gesamte Spektrum seines Instruments zwischen stimmungsvollem Schwirren und schweren Riffs ausloten.
Auch The Aim Of Design Is To Define Space wissen, wie man eine Gitarre effektvoll bedient. Vor allem aber grooven sie auf ihrem dritten Album „Aimthusiasm“ gern dahin, sind auch mal funky, aber lassen den Takt meist viervierteln, als wären sie letzte Nacht bei der Techno-Sause hängen geblieben. So selbstsicher wummert das, dass bisweilen eine Bräsigkeit entsteht, die gar an Deutschrock gemahnt. Die allerdings kontern sie mit Texten, die es an Verkopftheit zwar nicht ganz mit denen von Delbo aufnehmen können, aber sich doch alle Mühe geben, angemessen kryptisch zu bleiben. Interpretationen sind dann also nur wohlfeil: In „Im Osten nichts Neues“ wird der Zustand der ehemals neuen Länder beklagt, an anderer Stelle die Einsamkeit des modernen Menschen diagnostiziert oder immer wieder gern sein gestörter Gefühlshaushalt untersucht. Leider verzichtet Aim-Songwriter Stephan Szulzewsky zwar auch auf den mitunter sinnfreien Humor und die Berliner Blödeleien, die seine Dichtereien auf früheren Veröffentlichungen konterkarierten, aber lässt dafür die meisten seiner Lieder konsequent im Ungefähren. Dort allerdings entwickeln sie eine Qualität, die man durchaus lyrisch nennen darf.
So beweisen „Grande Finesse“ und „Aimthusiasm“ vor allem, wie selbstverständlich heutzutage in der Rockmusik mit deutscher Sprache umgegangen werden kann. Dem Diskurspop sei Dank. THOMAS WINKLER
Delbo: „Grande Finesse“ (Loob Musik/Universal)
The Aim Of Design Is To Define Space: „Aimthusiasm“ (Haute Real/Cargo)
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