piwik no script img

Requiem für einen Außerirdischen

Auch 25 Jahre nach seinem frühen Tod bleibt das New-Wave-Phänomen Klaus Nomi eine Ausnahmeerscheinung. Mit einer „Hommage à Klaus Nomi“ eröffnete am Freitag das Festival MaerzMusik im Haus der Berliner Festspiele

„Neben Klaus Nomi gab es für mich damals nur noch Tom Waits“

VON TIM CASPAR BOEHME

Das Gesicht wie eine weiße Maske geschminkt, die schwarzen Haare zum Kamm gegelt, den marionettenhaft ruckenden Körper in einem expressionistisch ausladenden Kostüm: Wie der leibhaftige Klaus Nomi erschien der Schauspieler Marc-Michael Bischoff am Freitag auf der Bühne des Hauses der Berliner Festspiele. Mit ihrer „Hommage à Klaus Nomi – a songplay in nine fits“, deren Uraufführung die „MaerzMusik 2008“ eröffnete, würdigte die österreichische Komponistin Olga Neuwirth eine einzigartige Erscheinung der New-Wave-Szene der Achtzigerjahre.

Klaus Nomi war eine Fantasiegestalt zwischen japanischem Kabuki-Theater, Futurismus und Kubismus, die im New York der späten Siebzigerjahre für Aufsehen sorgte. Nicht nur wirkte seine androgyn stilisierte Erscheinung wie von einer anderen Welt: Sobald er den Mund zum Singen öffnete und von seiner Tenorstimme zu sopranhohem Gesang wechselte, waren die Zuhörer vollkommen befremdet – und gebannt. Nach einem Konzert fragte ihn ein Kind, ob er ein Außerirdischer sei.

Von ganz so weit her kam Klaus Nomi nicht. 1944 als Klaus Sperber im bayerischen Immenstadt geboren, ging er über die Stationen Essen und Berlin Anfang der Siebzigerjahre nach New York. Sein Ziel war zunächst die Oper, er wurde jedoch abgelehnt und hatte stattdessen als Konditor Erfolg. In New York ließ er sich zum Countertenor ausbilden, kreierte die Kunstfigur Klaus Nomi und begann eine Karriere als Musiker. Mit seiner exotischen Mischung aus New Wave, Barockoper und Chanson hatte er so viel Erfolg, dass er in den frühen Achtzigerjahren einen Plattenvertrag bekam und zwei Alben veröffentlichte. Einem möglichen Welterfolg kam sein Tod im Jahr 1983 zuvor – er starb als eines der ersten prominenten Opfer an Aids.

Der Tod ist in Olga Neuwirths „Singspiel“ allgegenwärtig. Videoprojektionen an den Wänden zeigen mittelalterliche Totentanz-Holzschnitte, die Musiker der musikFabrik kreisen – in Skelettkostümen wie bei einem mexikanischen Totenfest – als Todeskarussell auf einer Drehbühne.

Eine exotische Mischung aus New Wave, Barockoper und Chanson

Als „eine Art Requiem“ beschreibt Regisseurin Ulrike Ottinger die gemeinsam mit dem Autor Thomas Jonigk entstandene Arbeit der Komponistin, in der sich Neuwirths Bearbeitungen von Nomi-Songs mit den gesprochenen Texten Jonigks abwechseln. Die übersteigerte Künstlichkeit Nomis wird durch die Doppelbesetzung seiner Figur verdeutlicht: Die Songs übernimmt fast vollständig der brillante Countertenor Andrew Watts, der Schauspieler Bischoff spielt zu den Texten mit entrückter Nonchalance. Dieser Wechsel bringt die vollkommen zur „persona“, d. h. zur Maske entpersonalisierte Figur Klaus Nomi noch stärker zur Geltung: „Als Nicht-Ich bin ich mehr ich, als ich je war“, wie Jonigk seinen Nomi an einer Stelle verkünden lässt. Auch in den Bearbeitungen Neuwirths ist die Frage der Identität von Bedeutung, geht es ihr doch vor allem um die musikalische Autorschaft. Die Musik der 1968 in Graz geborenen Komponistin ist durch Irritationen, Verfremdungen und ambivalente Stimmungen gekennzeichnet. Ungewöhnlich an ihrer „Hommage“ ist, dass sie die Struktur der Vorlagen beibehält und diese auf den ersten Blick lediglich neu arrangiert. Doch der weitgehend konventionelle Charakter der Songs wird durch leichte Verschiebungen untergraben. Die achtzehn Musiker der musikFabrik spielen auf Blas- und Streichinstrumenten, ergänzt durch eine verstimmte elektrische Gitarre, zwei Keyboards und ein Schlagzeug. Die vorwiegend klassische Instrumentierung versetzt die New-Wave-Ästhetik Nomis mit erfrischender Sprödigkeit. Vor allzu kammermusikalischem Gestus wird die Musik durch Störelemente wie elektronische Effekte bewahrt. So erklingt in manchen Stücken ein Keyboard mit Cembaloklang, jedoch um einen Viertelton tiefer gestimmt als die übrigen Instrumente. Als zusätzliche Verfremdung und Verwirrung kommen vereinzelt Zwischenspiele mit Barockmusik von Komponisten wie Giovanni Battista Pergolesi oder Johann Sebastian Bach hinzu – arrangiert vom niederländischen Musiker Raaf Hekkema.

Neuwirths Verfahren hat nicht nur mit ihrem großen Respekt für Nomi zu tun, den sie seit ihrem dreizehnten Lebensjahr bewunderte: „Neben Nomi gab’s für mich damals nur noch Tom Waits.“ Vielmehr wendet sie Nomis Verfahren auf ihre eigene Musik an. Nomi komponierte kaum eigene Musik, sondern spielte Coverversionen, die er mit seinem exotischen Zugriff zu Nomi-„Originalen“ umformte. In Neuwirths Bearbeitung erklingen sozusagen Coverversionen der Coverversionen, die sie mit ihren eigenen Kompositionsmitteln zu Neuwirth-Originalen macht. Genau wie Nomi artikuliert sie sich durch die Vorlagen hindurch, die stets als Nomi-Songs erkennbar bleiben. Eine „Welt für sich“ sei Nomi, so Neuwirth. Mit ihrer Hommage hat sie ihn in ihre eigene Welt geholt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen