: Comeback des Motorrades
In Hannover ist die Rückkehr der Zweitakter im vollen Gange: Im Rathaus liegt der Antrag, das traditionelle Eilenriederennen wieder aufleben zu lassen und im Historischen Museum sind die schönsten Mopeds der Fünfziger Jahre zu besichtigen
VON MICHAEL QUASTHOFF
Vor kurzem war das Motorrad in Hannover nur mehr ein lästiges Verkehrshindernis. Erniedrigt und gerade noch geduldet als Melkvieh, dem die Politesse regelmäßig ein paar Euro abpressen darf. Trauriger Höhepunkt des Niedergangs: Die Stadtverwaltung verbannte die Maschinen von ihren angestammten Ruheplätzen auf dem Trottoir, um fortan Parkgebühren zu kassieren. Zuwiderhandlungen werden mit drastischen Bußgeldern belegt. Doch das Comeback der Zweitakter ist in vollem Gange. Im Rathaus liegt der Antrag, das traditionelle Eilenriederennen wieder aufleben zu lassen und im Historischen Museum sind die schönsten Mopeds der Fünfziger Jahre zu besichtigen.
Gleich am Eingang posiert ein Prunkstück der Ausstellung: die Quickly „Cavallino“, ein sportliches NSU-Modell, blechverschalt, gebläsegekühlt und mit Hinterradfederung. Die Quickly war das erste Kleinkraftrad der deutschen Nachkriegsgeschichte, markiert also den Beginn der Massenmotorisierung im Zuge des Wirtschaftswunders. Ihre Schwestern heißen „Amaretto“, „Orion“, „Silberpfeil“, „Hummel“ oder „Wiesel“ und stehen liebevoll eingebettet in einer Kulisse, die das Motto „Halbstark auf zwei Rädern“ illustriert: Entenfett-Tollen, Original-Elvis-Platten, robuste Kleppermäntel und die unvermeidliche Lederjacke. Vergilbte Zeitungsausschnitte zeugen davon, dass die „Chaostage“ in den Rock‘n-Roll-Riots handfeste Vorläufer hatten. Als Poli und Zisti zwei jugendliche Biker wegen „unnötigen Lärms“ zur Kasse bitten wollten, kam es 1956 auf dem Hannöverschen Schützenfest zu einer veritablen Straßenschlacht. 200 „Halbstarke“ errichteten Barrikaden und überzogen die Ordnungsmacht mit einem Pflasterstein-Hagel.
Direktor Thomas Schwark legt allerdings wert auf die Feststellung, dass der Kern der Schau ein seriöser ist und von hoher lokalhistorischer Relevanz. Schließlich handelt es sich bei den Ausstellungsstücken vorwiegend um Modelle aus Niedersachsen. Manchmal war das, was man bei „Panther“ in Braunschweig, „Kalkhoff“ in Cloppenburg, „HWE“ in Einbeck“ oder „ Sitta“ in Sittensen zusammenschraubte, schlicht „Konfektionsware“, weil aus Teilen anderer, vorwiegend süddeutscher Hersteller zusammengesetzt und mit eigenem Signet bepinselt. Aber es fuhr und sah gut aus. Und so darf man ruhig sagen, Lower Saxony war in den Fünfzigern eine Säule deutschen Mopedbaus.
Ähnliches gilt auch für den Motorsport. Das Eilenriederennen, ein halsbrecherischer Dreieckskurs im Stadtwald, war nach und zwischen den Weltkriegen eines der größten Spektakel der Republik. Als die wilde Jagd 1952 zum letzten Mal ausgetragen wurde, standen 100.000 Menschen an der Strecke. Da kam einiges zusammen. Jede Menge Müll und jede Menge Penunse. Vor allem Letzteres dürfte den Unternehmer und Rennveranstalter Hinrich Hink jetzt bewogen haben, eine neue Streckenlizenz zu beantragen. Hink will allerdings nicht mehr in der Innenstadt fahren lassen, sondern auf dem Expo-Gelände.
Die Verwaltung hält sich vorerst lieber noch bedeckt. „Von der Idee haben wir auch gehört“, sagt Stadt-Sprecherin Konstanze Kalmus, mehr aber auch nicht. Das kann man irgendwie verstehen. Seit Jahren scheitern alle Versuche der Landeshauptstadt, die Expobrache mit so genannten Champ-Car-Rennen zu beleben, am Widerstand der Anrainer. Aus Rache hat sich der Rat neuerdings darauf verlegt, die Innenstadt zu schleifen, sprich, alles was vier Wände hat, an Supermärkte und Ramschboutiquen zu verscherbeln.
Wie in Sodom und Gomorrha müssen sich auch die Eilenriedefreunde vorgekommen sein, als im idyllischen Stadtwald erstmals die Motoren heulten. „Unsere Eilenriede nun gegen Eintrittsgeld betretbar“, menetekelte der hannoversche Bürgerverein. „Das ist die neuste Errungenschaft des Motorrades, das unsere Straßen beherrscht und nun auch in das alte heilige Recht der Eilenriede eine Bresche schlägt.“ Gegen die unheilige Allianz aus Motorsportfunktionären, eventsüchtigen Mandatsträgern und der geballten Macht der lokalen gummiverarbeitenden Industrie war einfach kein Kraut gewachsen. Continental-Caoutchouc, Gutta-Percha -Compagnie und die Gummiwerke Excelsior wollten die Veranstaltung, zahlten und bekamen sie. Bemerkenswert war die Haltung des Polizeipräsidenten. Der gute Mann verweigerte standhaft die „Inanspruchnahme der Polizei für ein privates Unternehmen, dessen sportliche Bedeutung sehr zweifelhaft ist, das vielmehr vornehmlich gewerblichen Zwecken dient und sich auch als recht lukrativ erwiesen hat“.
Am 30. März 1924 fiel der Startschuss. Gefahren wurde auf einem 4,8 Kilometer langen Dreieckskurs. Von der Waldgaststätte Steuerndieb ging es gegen den Uhrzeigersinn zum Lister Turm, dann über die Bernadotte Allee zum Zoo. „Ein Zeichen und wie die Windsbraut sausen die Maschinen davon“, resümierte der Volkswille die „Apotheose aus Blech, Blut und Benzin“ (Richard Birkefeld). „Es gibt wieder Stürze und die Zahl der Fahrer verringert sich… Als Nr. 79 bei der zweiten Runde am Start anlangt, geht wieder ein kleiner Hund auf die Bahn – unbegreiflicher Leichtsinn des Hundebesitzers! Alle Augen sind auf den Fahrer gebannt. Wird er ungefährdet passieren? Nein – er will das Tier nicht überfahren und stürzt nun selbst hin. Es geht glimpflich ab – einige Hautabschürfungen. Er erhält einen Verband und sitzt bald wieder auf der Maschine.“ Glück gehabt. 1928 gab es den ersten Toten und das Dutzend sollte voll werden, während die Matadoren Bauhofer, Bullus und Bernd Rosemeyer den Rundenrekord 1939 auf sagenhafte 128, 1 km / h schraubten.
Wenn alles vorbei war, „lag der (Abgas-)Dunst zwischen den Stämmen des Waldes, da auch die Letzten nach Hause gingen, um das inzwischen etwas kalt gewordene Mittagsessen zu sich zu nehmen. … Nur die wie immer übliche Garnierung der Rennstrecke an der Absperrung entlang mit Butterbrotpapier, Eierschalen, Konservenbüchsen und anderen Herrlichkeiten deuteten darauf hin, dass hier etwas Besonderes vor sich gegangen war.“ (Volkswille)
So ruhig ist es bis heute im Stadtwald geblieben. Für Aufregung sorgt hier nur noch der städtische Fachbereich „Umwelt und Stadtgrün“, dem neulich einfiel, 12 Hektar der Eilenriede unter Wasser zu setzen, um Lebensraum für rare Spezies wie Sumpf-Pippau und Bergmolch zu schaffen. Leider hatte man nicht bedacht, dass dabei erstens der Grundwasserspiegel steigt, was etliche benachbarte Keller unter Wasser setzte und zweitens ein jahrzehntealter, obendrein kerngesunder und vielen Hannoveranern ans Herz gewachsener Buchenbestand ins Wanken geraten könnte. Als die Stämme drohten, auf einen Kinderspielplatz zu kippen, rückten die Fachbeamten im Morgengrauen an – mit der Motorsäge.
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