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Milchkanne contra Tetra-Pak

Das Hamburger Museum für Kommunikation erklärt in seiner aktuellen Ausstellung Rahmenbedingungen und Auswirkungen der Globalisierung, bleibt dabei aber weitgehend deskriptiv und wertet nicht. Das, sagt der Kurator, muss der Besucher selber tun

150 Jahre bevor der Begriff „Globalisierung“ Anfang der 1990er im deutschen Sprachraum Einzug hielt, haben Marx und Engels 1848 die erste Globalisierungskritik formuliert. „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnten Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel“, steht da im Kommunistischen Manifest.

Im Hamburger Museum für Kommunikation bietet derzeit die Ausstellung „Globalisierung 2.0“ einen Überblick über die Zuckungen der globalisierten Welt: Drei Zeittafeln im Eingangsbereich liefern dem Besucher einen historischen Abriss über die Hintergründe und strukturellen Rahmenbedingungen der Globalisierung.

Die Wandtafel über den Kapitalmarkt erörtert wichtige Eckpunkte, von den Thesen des Ökonomen David Ricardo von 1817 über die Weltwirtschaftskrise von 1929 und dem Ende des Bretton-Woods-Systems 1973 bis zur Einführung des Euros 2002.

Zwei weitere Tafeln erzählen von der Entwicklung von Transport und Logistik und der technischen Beschleunigung der Kommunikation: Die ersten Jumbo Jets 1970 waren die Vorboten der Billigfliegerei. 1928 übertrugen Kurzwellensender die ersten Telefonate über den Atlantik, damals schlug eine Minute Telefonieren noch mit umgerechnet 300 Euro zu Buche.

Das Herzstück der Ausstellung bilden zehn Themenschwerpunkte. Bilder, Karten, Videos und knappe Texte veranschaulichen einzelne Aspekte der Globalisierung. Zum Beispiel erklärt eine Tafel im Zusammenhang mit der globalen Nahrungsproduktion, wie die holländische Firma Heiploeg in der Nordsee gefangene Krabben per LKW nach Marokko zum Schälen bringt, um sie anschließend wieder über Holland zurück nach Deutschland zum Endverbraucher zu karren. Die monotone und harte 36-Stunden-Schicht einer kolumbianischen Blumenarbeiterin, vor Valentins- und Muttertagen, sind der Preis für frische Rosen im Blumenladen.

Der spannende, weil menschelnde, Angelpunkt der Ausstellung ist ein Sammelsurium von Gegenständen, von der Plastiktragetasche über die Cola-Dose bis zum Flugzeugreifen. Während der Vorbereitungen zur Ausstellung hat das Projektteam Menschen auf der ganzen Welt nach den Gegenständen gefragt, die für sie Globalisierung darstellten. Politiker, Künstler, Kulturschaffende, Wissenschaftler und Intellektuelle antworteten unterschiedlich, indem sie Objekte einschickten. Die traditionelle Milchkanne aus Metal von Kare Olav Solhell, einem Landwirt und Schriftsteller aus Norwegen, versteht sich als Kritik am Untergang der traditionellen Landwirtschaft im Zeitalter des Tetra-Paks. Für Stefan Behn, Vorstandsmitglied der HHLA, veranschaulicht das Containerbuddelschiff aus dem Jahr 1968 den Auftakt zum Containerzeitalter.

Für den Hamburger Marinebiologen Stephan Gollasch symbolisiert eine in Formaldehyd eingelegte chinesische Wollhandkrabbe die folgenreiche Globalisierung der Natur. Die Krabbe wurde bereits 1912 in Ballasttanks in deutsche Küstengewässer eingeschleppt und besiedelt heute die Fischtreppe an der Elb-Staustufe bei Geesthacht.

Insgesamt beschreibt die Ausstellung, was ist und bringt dem versierten Experten keine neuen Erkenntnisse. Sie schafft es allerdings, das komplexe Thema Globalisierung – egal, wie man sie definieren oder interpretieren mag – anhand spannender Beispiele zu veranschaulichen. Ohne übermäßige Detailversessenheit schafft die Ausstellung ein Gefühl dafür, dass Globalisierung ein Prozess ist, der unseren Alltag nachhaltig prägt. Die Ausstellung praktiziert keine explizit kritische Sicht auf die Globalisierung; werten muss der Besucher selbst. In Anspielung hierauf erklärt Benedikt Burkhard, der Kurator der Hamburger Ausstellung: „Der vierte Teil der Ausstellung findet im Kopf der Besucher statt.“ DYFED LOESCHE

Die Ausstellung ist bis zum 4.  Januar 2009 im Hamburger Museum für Kommunikation zu sehen.

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