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Auch Casablanca ist jetzt online

„WWW – What A Wonderful World“ von Faouzi Bensaidi zeigt ein erstaunlich modernes Marokko

Der Kinomythos ist so umfassend, dass man fast vergessen hat, dass Casablanca tatsächlich eine Stadt in Marokko ist. Und zwar eine hässliche Betonwüste, wie der Rezensent aus eigener Erfahrung leider sagen muss. „Rick’s Café Américain“ wurde ja auch in einem Studio in Hollywood aufgebaut, und Bogarts „Casablanca“ ist eher eine poetische Chiffre als ein realer Ort. Wie kann man nun dieser Stadt, die zu den modernsten Nordafrikas gehört, mit einem Film gerecht werden, ohne dabei den Mythos ganz zu verleugnen? Diese knifflige Aufgabe stellte sich der marokkanische Filmemacher Faouzi Bensaidi und entpuppt sich dabei als ein verspäteter Jünger von Jean-Luc Godard. Ob dessen Methode des kaleidoskopischen Spiels mit Stilen, Genres und Konventionen auch heute noch so modern ist wie in dessen besten Zeiten, den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, ist eine müßige Frage, wenn ein Filmemacher durch sie so fruchtbar inspiriert wird wie in diesem Fall.

Schon der Titelvorspann mit seiner swingenden Musik und der verspielten Grafik verspricht eine bunte, kurzweilige und originelle Tour durch diese Stadt, bei der statt Palmen und Kamelen Internet-Cafés und Handys ins Bild gerückt werden. Der Film feiert diese Modernität und die Freiheit, die sie den Protagonisten bringt, und so ist das Wortspiel des Titel auf einer Ebene durchaus ernstgemeint. Aber es weist auch auf jene Ungleichzeitigkeit hin, die zwischen dem „World Wide Web“ und dem alten Schlager von Louis Armstrong (den er übrigens gehasst hat) besteht. Dieses Nebeneinander wird auch optisch auf den Punkt gebracht, wenn etwa eine Frau in Jeans und Kurzhaarfrisur ihrer Freundin, die traditionell verhüllt mit Kopftuch und weitem Gewand neben ihr steht, ihr Handy leiht. So wird die Heldin eingeführt: eine modern lebende, resolute Frau, die bei der Polizei arbeitet und (als „Ich-Agentur“ ganz auf der Höhe dieser Zeit) nebenbei in ihrem Viertel als wandelnder Telefonverleih etwas dazuverdient. In einer der witzigsten Sequenzen des Films dirigiert sie als Verkehrspolizistin auf einer Straßenkreuzung eine folgsame Herde von Autos zu Mustern und Formationen, die schließlich zu einem Ballett aus Blech werden, bei dem man zur Abwechslung auch mal den Einfluss von Jacques Tati erkennen kann. Ein reines Kinoklischee ist die zweite Hauptperson des Films: der (vom Regisseur gespielte) schweigsame Auftragskiller. Er bekommt seine Aufträge aus dem Internet, und der Film zeigt ein paar von seinen Morden im Stil von stilvollen Actionfilmen der 70er Jahre, wobei als Kontrapunkt aber auch immer die modernste Kommunikationstechnik ausgestellt wird. So verlieben die beiden Protagonisten sich in die aus dem Handy kommende Stimme des anderen, und ein Hacker kommt schließlich dem Killer auf die Schliche, indem er die Aufträge in dessen files findet.

Der Überschwang an Fantasie, mit dem Faouzi Bensaidi hier ans Werk gegangen ist, wirkt ansteckend, und so ist es meist vergnüglich, dieses Sammelsurium von Zitaten, Anspielungen und Gags anzusehen. Aber im Laufe seiner 99 Minuten droht der Film auch sich totzulaufen, denn bei dieser extrem fragmentarischen Erzählweise kommt zwangsläufig das Erzählen selbst zu kurz. So werden die Figuren nie wirklich lebendig, und man ist kaum daran interessiert, wie sich der Plot weiter entwickelt. Doch auch dies ist ja eine moderne Erzählhaltung, die hier zudem mit der orientalischen Tradition der ineinander verschlungenen tausendundeinen Geschichten verbunden wird.Wilfried Hippen

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