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in fußballlandEs ist noch immer schiefgegangen

CHRISTOPH BIERMANN preist das Glück der Langeweile und der Abschweifung. Fußball macht dann aber immer noch Spaß

Als alles gut war, traf ich Nick Hornby, und er war voller Sorge. Der Arsenal FC war Tabellenführer der Premier League, hatte gerade in der Champions League beim AC Mailand in großem Stil gesiegt und wurde überall in Europa für die Schönheit seines Spiels gelobt. Doch während ich auf Hornby einredete, warum auch mir das Spiel seiner Mannschaft so besonders gut gefiel, schaute er zunehmend verzweifelter und unterbrach mich schließlich. „Aber ich habe die Angst, dass wir am Ende mit leeren Händen dastehen werden“, sagte er.

Man könnte meinen, dass Hornby in jenem Moment einen guten Instinkt bewies, denn in den Wochen danach verlor sein Team erst die englische Meisterschaft und schied dann auch noch tragisch aus der Champions League aus. Doch vielmehr zeigte sich an jenem Abend, dass der inzwischen weltweit erfolgreiche Autor, auch mehr als anderthalb Jahrzehnte nachdem er in „Fever Pitch“ die Befindlichkeiten von Fußballfans so wunderbar aufgeschrieben hatte, immer noch an diesen Gefühlskreislauf angeschlossen war. Hornby ist der tief verwurzelte Pessimismus und die Angst vor der Enttäuschung nicht abhandengekommen, die zum Leben eines Fußballfans gehört. Er weiß nach all den Jahren auf der Tribüne: Es ist noch immer schiefgegangen.

Nun wären die meisten von uns glücklich, wenn ihre Mannschaft nur einmal so wunderbar spielen würde, wie Arsenal es in den letzten Jahren gleich serienweise getan hat. Die Sorge um verpasste Meisterschaften und das Zittern in der Champions League sind reichlich exklusive Angelegenheiten, und dennoch bleibt eine Saison ohne Titel für Hornby und alle anderen Anhänger seines Klubs eine ganz reale Enttäuschung. Aus diesem Grund haben jene als Erfolgsfans gescholtenen Anhänger des FC Bayern, AC Mailand, Real Madrid oder Manchester United nicht ganz unrecht, wenn auch sie die Bürde ihrer Leidenschaft beklagen. Für einen Fan des MSV Duisburg wäre die Welt schon in Ordnung, wenn der Klub nur in der Bundesliga bleibt, für die Bayern hingegen müssen schon multiple Titelgewinne her, um das Gefühl der Enttäuschung zu vermeiden. Nun sollen hier aber nicht die Sorgen in den Penthäusern des Fußballs rehabilitiert, sondern hier soll die Langeweile gelobt werden.

Deren Freuden ergeben sich schlüssig daraus, dass so viele Aufregungen im Leben eines Fußballfans mit der Angst vor Enttäuschungen zu tun haben. Ich jedenfalls habe gerade eine herrlich langweilige Zeit, weil der VfL Bochum bereits etliche Wochen vor dem Saisonende den Zustand fast vollständiger Enttäuschungsunmöglichkeit erreicht hat. Seine Spiele sind keine nervenzerfetzenden Angelegenheiten mehr, sondern sie plätschern nur noch entspannend daher.

Der Klub hat sein wesentliches Ziel erreicht, auch im nächsten Jahr wieder in der Bundesliga zu spielen, zugleich liegt er in der Tabelle fern irgendwelcher realistischer Ambitionen auf einen Platz im internationalen Fußball. Weil aber die Spannung ziemlich gut auszuhalten ist, ob am Saisonende nun der zwölfte oder der neunte Platz herauskommt, wird die Betrachtung der Spiele zu einer weitgehend kontemplativen Betätigung für wahre Liebhaber. Man darf in Ruhe fast vergessene Reservisten beschauen, die eine Chance bekommen, und die dramatischen Fragen sind schon die, ob sich der Torjäger aus der Krise schießt und wie gut eigentlich der zweite Keeper ist.

Langeweile hat im Fußball zu Unrecht ein schlechtes Image, denn in solchen Tagen der Bedeutungslosigkeit merkt man erst, wie schön es ist, dass einige schöne Momente lang der Mechanismus der Sorge außer Kraft gesetzt ist. Und für alle Heißsporne, die nicht ohne Aufregungen auszukommen glauben, hält der Spielplan noch den Besuch des großen Nachbarn aus Gelsenkirchen bereit, den man selbstverständlich jederzeit daran erinnern darf, dass es noch immer schiefgegangen ist.

Fotohinweis:Christoph Biermann (47) liebt Fußball und schreibt darüber

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