: Das Großartige des Pilgerns
Natürlich kann man Hape Kerkeling lesen und in einer Horde nach Spanien pilgern. Man kann stattdessen auch friedlich den Pilgerweg in Sachsen entlang wandern. Dort findet man jugendliche Atheisten, unheimliche alte Männer und Pfarrer, die Pferde segnen, um ihre Dörfler zu erfreuen
VON FRIEDERIKE GRÄFF
Ich bin nicht gepilgert, weil Hape Kerkeling mich dazu erweckt hätte. Aber vermutlich ist es gleichgültig, ob man wegen eines Komikers oder wegen persönlicher Unausgegorenheit losläuft. Es war auch nicht Spanien, sondern Sachsen-Anhalt. Es war großartig und das Großartige fing an, als ich dem Verein, der den Pilgerführer herausgibt, eine bedenkenträgerische E-Mail schrieb.
„Kann man als Frau dort alleine entlanglaufen?“, schrieb ich und man schrieb mir zurück: „Ein Engel wird Sie begleiten.“ Der Verein schrieb auch noch, dass so einige Leute den Weg liefen und dass noch nie etwas passiert sei. Das Bedenkenträgerische verließ mich nicht komplett, nachdem ich in Görlitz losgegangen war und es holte mich rapide ein, als ich mich am ersten Abend im Wald verlief. Vielleicht spüren andere Pilger in diesen Momenten so etwas wie Gottvertrauen – ich spürte vor allem große Freude, als ich aus dem Wald einem Haus entgegen stolperte. Es war ein Ehepaar darin, das gerade Gäste hatte, aber sie fuhren mich trotzdem ungefragt zu der Scheune, die die erste Pilgerherberge auf dem Weg war. Ich glaube übrigens, dass es das ist, was das Pilgern so großartig macht: Das Schutzlose, im Guten wie im Schlechten, das alles, was von außen kommt, zu einer großen Sache werden lässt.
In der Scheune waren zwei junge Männer, Leipziger und Atheisten, wie sie ungefragt erzählten. Sie hatten etwas von einem Ehepaar, der eine redete ständig und der andere kaum, dabei liefen sie in Sandalen und das eher lahm, denn ich kam vor ihnen an bei einem älteren Ehepaar, das Pilgerherberge anbot.
Auch das ist eine dieser Großartigkeiten: dieses nicht-Wissen, wo man abends eigentlich schlafen wird, auch wenn es einen zart erschreckenden Zug haben kann, ein zweistündiges Abendbrot mit vollständig Unbekannten zu teilen – wobei man natürlich auf Gemeindehäuser ausweichen kann, aber in den einst neuen Bundesländern stapeln die sich auch nicht gerade, genauso wenig wie Geschäfte. Und so werden die Ansprüche in vielem kleiner.
Das ältere Ehepaar war freundlich, aber bestimmt, gehörte zu einer Freikirche, sprach ein Abendgebet und stürzte sich mit den Leipzigern in eine mehrstündige theologische Auseinandersetzung. Ihr Wohnzimmer war Eichen- und nippeslastig, sie Hausfrau er Rentner, und als ich morgens weiterzog, sprach er einen Reisesegen. Im Rückblick frage ich mich, ob nicht das das viel gesuchte Nonkonformistische ist: einer Wildfremden gegenüber einen Segen zu sprechen. Aber dazu müssten sie sich wohl darüber im Klaren sein, wie wenig ungewöhnlich, sagen wir: Sex mit Tieren heute noch ist.
Im Pilgerführer steht, dass der Körper erst nach ein paar Tagen merkt, dass die Sache mit dem Pilgern ernst gemeint ist. Und dann streikt. Man denkt jeden Abend, dass man am nächsten Tag ab drei Uhr mal irgendwo bleiben könnte, statt zu glauben, man müsse noch vier Kilometer mehr schaffen. Und läuft auch am nächsten Tag fluchend in die Dämmerung. Bei mir blieb auch das Schreckhafte, vor allem, als auf einem einsamen Feldweg ein Auto beharrlich in Schrittgeschwindigkeit hinter mir herfuhr. Ich versuchte mit meinem Handy all die Menschen anzurufen, die ich kenne, aber niemand war zu Hause und schließlich rief ich den Notruf an. „Sprechen Sie deutlicher“, sagte der Notruf-Mensch kritisch zu mir, während der Wagen langsam an mir vorüberfuhr, darin saßen zwei uralte ausgemergelte Männer.
Meine letzte Station war ein Pfarrhaus vor Leipzig. Ich traf den Pfarrer an einer Straßenkreuzung, als er einen anderen Pilger zum Zahnarzt fuhr. Er wollte mich mitnehmen, aber ich hatte noch Reste von Pilgerehre an mir und schleppte mich in einer Stunde die Strecke entlang, von der er gesagt hatte, man bräuchte zwanzig Minuten. Im Pfarrbüro stempelte er meinen Pilgerausweis und erzählte, dass er morgen im Nachbardorf Pferde segnen würde. Er sagte, dass er ein bisschen Bauchschmerzen dabei habe, weil es eigentlich eine eher unkirchliche Angelegenheit sei. „Ich versuche, eine eher allgemeine Ansprache zu halten“, sagte er. „Und wenn ich nicht käme, würden sie es einfach ohne mich machen.“ Am nächsten Morgen nahm er mich mit und ich sah zu, wie er die Pferde segnete. Ein fülliger Mann, der ein bisschen zurückwich, wenn die aufgetakelten Pferde vor seiner segnenden Hand scheuten.
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