: Buchstaben über der Stadt
Im fünften Stock eines alten Fabrikgebäudes in Hamburg-Hamm treffen sich einmal im Monat vier junge Literaten und ein Promi und lesen öffentlich bei Kaffee und Kuchen – das ist das Konzept der Lesebühne Kaffee.Satz.Lesen. Am Sonntag feiert die Veranstaltung ihren fünften Geburtstag
Beim ersten Mal glaubst du, du bist hier falsch: Es ist Sonntagnachmittag gegen halb vier. Du hast davon gehört, dass – immer am letzten Sonntag im Monat – hier ein Salon für neue Literatur stattfindet. Und jetzt stehst du im Hinterhof eines roten Fabrikklotzes, unmittelbar neben dem S-Bahnhof Hasselbrook in Hamburg. Die Adresse, Hammer Steindamm 62, stimmt. Nur: ein literarischer Salon? Hier, weitab von allem, was sich Szene nennt? Nie im Leben.
Aber: Doch. Genau hier. Seit genau fünf Jahren veranstalten Stevan Paul und Sven Heine jenen literarischen Sonntagssalon im fünften Stock einer stillgelegten Fabrik im Herzen von Hamburg-Hamm. Der Name der Lesereihe: Kaffee.Satz.Lesen. „Wir sind“, sagt Paul, 39, „sozusagen der missing link zwischen der Poetry-Slam-Szene und dem Literaturhaus.“ Was in der Praxis bedeutet: Paul und Heine suchen und finden pro Lesung vier literaturbetriebsjunge Autoren und einen alten Hasen, die, an einem Tisch im Scheinwerferlicht sitzend, jeweils eine Viertelstunde lang aus ihren Werken lesen. „Wie bei einem Musikfestival“, sagt Paul. „Bevor die Hauptband dran ist, hörst du dir noch ein paar andere an.“ Die nicht unbedingt schlechter sein müssen als die Headliner. „Ein zweites Format dieser Art gibt es in Hamburg nicht“, sagt Paul.
Vorher und in der Pause gibt es Kaffee und Kuchen – frisch gebacken vom hauseigenen Konditor. Nicht unwichtig – vor allem für die Etablierung der Lesereihe, die so richtig etabliert gar nicht sein will. „Wir wurden“, erzählt Paul, „nach unseren ersten Veranstaltungen in einem Artikel erwähnt, der die Rückkehr der Bürgerlichkeit verkündete. Nach dem Motto: Was macht die Jugend? Vorlesen und Kuchen backen.“ Anfangs hätten sich die Macher von Kaffee.Satz.Lesen in dieser Schublade gar nicht wohl gefühlt. Bis sich der vermeintliche Nachteil als Alleinstellungsmerkmal erwies – „denn im Grunde“, sagt Paul, „hat es ja doch gepasst.“ Auch weil der Veranstaltungsort von Anfang an keine bloße Fabriketage ist. Sondern eine Mischung aus Privattheater, Salon und Wohnzimmer – mit Bücherregalen, Sesseln und einem kleinen Lüster.
„Baderanstalt“ heißt diese Wohnzimmerbühne, weil der, der sie bewirtschaftet, Kristian Bader heißt. Der hat hier auch schon gelesen. Wie eine ganze Reihe anderer. „Dabei“, sagt Paul, „sind wir völlig auf den Goodwill der Autoren angewiesen – gerade bei den großen Namen. Dass eine Katja Lange-Müller, ein John von Düffel, oder ein Tex Rubinowitz aus Wien für das gleiche minimale Honorar anreist wie ein Poetry-Slammer, den wir vergangene Woche auf einer Kneipenbühne gesehen haben – das ist für uns natürlich fantastisch.“
Seit drei Jahren ist Kaffee.Satz.Lesen zuverlässig ausverkauft. Trotz – oder wahrscheinlich gerade wegen – des Termins mitten am Sonntagnachmittag. „Sonntagssalons gab es schon immer, sie sind nur aus der Mode gekommen“, sagt Paul. Und abgesehen davon: „Um 16 Uhr hat man entweder gerade ausgeschlafen oder ist schon mit seinem Alsterspaziergang fertig.“ Im ersten Jahr warben Heine und Paul deshalb auch mit dem Satz: „Und zum Tatort sind Sie wieder zu Hause“. Denn der ist sowieso unantastbar.
Florian Zinnecker
Am Sonntag, 25. Mai, feiert Kaffee.Satz.Lesen seinen fünften Geburtstag und zugleich seine 50. Ausgabe mit der längsten Lesung Hamburgs, von 11.30 Uhr bis 20.30 Uhr. Infos und Programm unter www.redereihamburg.de
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