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Aufmerksamkeit ade

„Multitasking, Synchronität als kulturelle Praxis“: Eine Ausstellung der Overbeck-Gesellschaft in Lübeck begreift Multitasking als ein Phänomen der Gegenwart, als kulturelle Praxis unserer noch jungen technologiegestützten Informations- und Kommunikationsgesellschaft – und als Bedrohung

„Diese Werke lassen sich auch wie das vorerst letzte Kapitel des Untergangs des Abendlandes lesen“

Von MAXIMILIAN PROBST

Wir telefonieren und legen nebenbei die Wäsche zusammen, wir schauen uns die Nachrichten an und schaufeln uns dabei eine Portion Nudeln hinein. Wer geübt ist, schafft vielleicht sogar alles zugleich: Telefonieren, beim Zuhören die Gabel in den Mund schieben, beim Kauen die Wäsche zusammenlegen, und mit einem Auge den Fernseher im Blick behalten.

Für dieses Verhalten hält die Sprache seit kurzem den Begriff Multitasking bereit. Gebildet wurde der in den 60er Jahren. Ursprünglich bezeichnete das Wort die Fähigkeit des Computers, mehrere „tasks“ gleichzeitig auszuführen. In den letzten Jahren ist es dann zusehends aus der Informatik auf den menschlichen Alltag übertragen worden. Auch darum begreift jetzt eine Ausstellung in Lübeck Multitasking konsequent als ein Phänomen der Gegenwart, als kulturelle Praxis unserer noch jungen technologiegestützten Informations- und Kommunikationsgesellschaft.

„Multitasking, Synchronität als kulturelle Praxis“ heißt die Schau, die in der Overbeck-Gesellschaft, dem Lübecker Kunstverein, zu sehen ist. Wer den schlichten, in einem gepflegten Garten gelegenen Bau betritt, findet sich übergangslos im reißenden Strom des Informationsüberflusses wieder. Rechts hängt die „Slogan Machine“ der Künstler Marius Watz und Christine Wolfe, ein Bildschirm, auf dem ein Feuerwerk von Pop-Ups abgefackelt wird. Unablässig erscheinen die bunten, stummen Werbeformeln, blähen sich auf, überlagern sich und verschwinden wieder.

Gegenüber surrt und piepst und raschelt es: Ein Computer ist dort an die Wand montiert, links oberhalb des Rechners ein Drucker, der über eine Schiene mit einem Papierschredder verbunden ist. „Spamtramp“ heißt diese skulpturale Installation von Bill Shackleford und so funktioniert sie: Der Computer ist ans Internet angeschlossen. Sobald Spam-Mails beim E-Mail-Programm des amerikanischen Künstlers eingehen, werden sie an den Drucker weitergeleitet, ausgedruckt und über die Schiene dem Schredder zugeführt. Etwa alle zwei bis drei Minuten springt die Vorrichtung an. Und von unten wächst ihr ein Haufen zerschnibbelten Papiers entgegen.

Beide Arbeiten, „Slogan Machine“ und „Spamtramp“, zeigen bereits, was dem runden Dutzend Künstlern der Schau aus dem In- und Ausland zum Thema „Multitasking“ einfällt: Nichts Gutes. Überwiegend weisen sie auf die Gefahren, Fallen und Verluste hin, die damit einhergehen können. So dass sich die in den drei Räumen des Lübecker Kunstvereins versammelten Werke regelrecht wie das vorerst letzte Kapitel des Untergangs des Abendlandes lesen lassen.

Muss man nicht die „Spamtramp“ als Versuch begreifen, den Datenmüll und die kommunikativen Sackgassen des Virtuellen konkret fassbar zu machen? Die „Slogan Machine“: Will sie uns nicht den Kollaps der Aufmerksamkeit angesichts der schieren Masse an Botschaften vorführen? Das ist auch das Thema einer Videoarbeit von Stefan Panhans, in der ein junger Mann vom Kauf einer Digitalkamera in einem Elektromarkt erzählt, genauer: von den unzähligen Offerten und den zahllosen Bedienfunktionen an den Geräten, die es zu vergleichen und zu checken gelte.

Das Ganze, erklärt er uns, sei auf Verwirrung ausgelegt, weich werden solle man, sich ergeben und dann zugreifen. Gehalten wird dieser lange, slanggetränkte Monolog in einem Stakkato und einer Geschwindigkeit, die der Informationsbombardierung im Elektromarkt nachempfunden sind. Mit dem intendierten Ergebnis, dass auch die Aufmerksamkeit des Rezipienten irgendwann einbricht, und sich wie zur Erholung auf das tänzelnde Schneegestöber im Hintergrund des Bildes richtet.

Am anschaulichsten macht aber eine Videoarbeit des schwedischen Künstlers Lars Siltberg die Problematik des Multitasking. Man sieht den Künstler wie eine gigantische Fliege an einer Tafel kleben. Er versucht, mit Händen und Füßen gleichzeitig zu schreiben. Monatelang hat er geübt, und tatsächlich: Buchstabenfolgen erscheinen auf der Tafel. Nur ergeben sie keinen Sinn.

Lesen lassen sich dagegen die Schriftzüge eines Siebdrucks von Peter Fischli und David Weiss. „How to work better“ steht auf dem Blatt, das zehn Gebote auflistet: „Do one thing at a time“ ist das erste davon. Dazu passt, dass das Künstlerduo das Blatt mit den Geboten in einem thailändischen Unternehmen fand. So ließe sich schnell die ostasiatische Lehre der Einfachheit und meditativen Versenkung gegen den westlichen Fortschrittswahn mit seiner technologischen Aufrüstung in Stellung bringen.

Andererseits haben Fischli / Weiss das Blatt im Siebdruckverfahren reproduziert, ein Verfahren, das von einer bestimmten Herkunft gezeichnet ist. Es war Andy Warhol, der das Prinzip des Siebdrucks künstlerisch adelte. Und er griff darauf zurück, um in seiner „Factory“ die Bilder schneller produzieren zu können. Schneller sollte es gehen, damit er nebenher noch einige andere Dinge tun konnte. Etwa einen Blick auf seine zwei Fernseher werfen, die bei ihm gleichzeitig liefen. Und als man ihn fragte, ob er auch wirklich zwei Sendungen gleichzeitig verfolgen könne, antwortete er: „I also talk on the telephone at the same time.“

Wenn man an der gelungenen Ausstellung in der Overbeck-Gesellschaft etwas monieren kann, dann ist es dies: dass sie neben allen Abgründen und Gefahren die Möglichkeiten, sich kreativ mit technischem Gerät zu beschäftigen, und anhand seiner sich selbst zu erfahren, unterbelichtet lässt.

„Multitasking – Synchronität als kulturelle Praxis“: Bis zum 27. Juli in der Overbeck-Gesellschaft in Lübeck.

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