piwik no script img

Wir müssen Geld ausgeben

Junge Modedesigner zwischen Selbstausbeutung und überlebenswichtigen Kooperationen: Bei der „Mercedes Benz Berlin Fashion Week“ erhält Marcel Ostertag den „New Generation Award“ und darf eine Linie exklusiv für Karstadt entwerfen

VON ELISABETH RAETHER

In einem stickigen Nebenraum der Ausstellungshalle am Gleisdreieck, wo die Berliner Modemesse Premium veranstaltet wird, sitzt ein vollschlanker Mann mit zurückgegeltem Haar und einer Sonnenbrille im Gesicht auf einem Podium und sagt ins Publikum: „Wir müssen Geld ausgeben.“

Manuel Rivera ist Chef der Different Fashion Group, die auf Sylt in dreizehn Filialen hochpreisige Markenmode anbietet. „Die Mode“, sagt er, „ist ein kapitalintensives Geschäft.“ Das weiß auch die Karstadt AG und fördert junge Modedesigner. Im Rahmen der Berliner Modewoche, die parallel zur Modemesse Premium jetzt zum dritten Mal stattfand, verleiht Karstadt den „New Generation Award“. Der Gewinner entwirft eine Kollektion, die exklusiv von der Warenhauskette vertrieben wird.

Letztes Jahr hat das Berliner Label Kaviar Gauche gewonnen. Die Kollektion sei ihnen aus den Händen gerissen worden, erklärt Heinz Thünemann, Karstadt-Geschäftsführer, der aus Essen angereist ist. Die Entwürfe wurden in allen entscheidenden Modemagazinen abgebildet. Der Karstadt-Gruppe geht es nicht gut, ein neues Image scheint überlebenswichtig.

Kaviar Gauche hat inzwischen einen Onlineshop und ist deutschlandweit in mehreren Läden vertreten.

Damit ist aber die Frage nicht beantwortet, wie hilfreich es für einen jungen Designer ist, gleich zu Beginn seiner Karriere eine Kaufhauskollektion zu entwerfen. Solche Kooperationen scheinen dem exklusiven Image, von dem ein Designer lebt, zwar nichts mehr anzuhaben, seit 2004 Karl Lagerfeld mit H&M zusammengearbeitet hat.

Doch war der Modemacher Lagerfeld zu dem Zeitpunkt schon seit über vier Jahrzehnte im Geschäft und deshalb in der Lage, die kritische Distanz zu wahren. Unter welchen Produktionsbedingungen findet ein Designer zu einem eigenen Ton? Als Angestellter in einem großen Haus, wie Tom Ford bei Gucci oder Hedi Slimane bei Dior? Oder indem er ein eigenes Label gründet, von Sponsoren abhängig ist, in prekären Verhältnissen lebt, sich verschuldet, um eine Kollektion anzufertigen und auf Messen einen Stand zu mieten, in der Hoffnung, dass der Handel irgendwie aufmerksam wird?

In Berlin treten vor allem Designer an, die ihren Ton noch nicht gefunden haben. Wie junge Künstler ihre Vorbilder nachahmen, so kopieren Nachwuchsdesigner hier die großen Meister aus Paris und Mailand. Einige Entwürfe des 28-jährigen Marcel Ostertag, der den „New Generation Award“ dieses Jahr bekam, erinnern mit den Perlenverzierungen und in der Farbgebung an die Prada-Herbstkollektion von 2007. Andere Kollektionen, die gezeigt werden, sind wiederum so enigmatisch, wie man sich die ersten Sätze eines angehenden Schriftstellers vorstellt: Noch ganz in sich gekehrt, ohne rechte Form, dabei aber konventionell. So zum Beispiel die Kollektion, die c-neeon auf der Terrasse des Kunstgewerbemuseums am Potsdamer Platz gezeigt hat. Bei dem Berliner Label waren Entwürfe zu sehen, die unkonzentriert wirkten, beliebig ornamental, dazu Jodhpur-Hosen, Leggings und bunte Prints, wie es sie schon überall zu kaufen gibt.

Mode wird als künstlerische Ausdrucksform oft nicht ernst genommen, weil ein Designer in hohem Maß von den Produktionsbedingungen abhängt. Eben deshalb aber ist die Lage eines angehenden Designers meist noch prekärer als die eines jungen Schriftstellers. Hier, bei der Mercedes Benz Berlin Fashion Week, treffen sie auf potenzielle Geldgeber.

Ein weiterer Nachwuchspreis wird von der Premium vergeben, einer von Elle und Mercedes-Benz. In dem großen weißen Zelt auf dem Bebelplatz, wo die meisten Veranstaltungen stattfinden, werden zahlreiche Werbegeschenke und Prospekte an die Besucher verteilt. Während in Paris, Mailand und New York die Designer im Mittelpunkt stehen, weil dort überhaupt nur große Namen auftreten, spielen in Berlin die Sponsoren die Hauptrolle. Heinz Thünemann von Karstadt, mit Seitenscheitel und grauem Anzug, überreicht Marcel Ostertag, der glitzernde blaue Schuhe trägt und seine Augenbrauen nachgemalt hat, am Ende der Show einen großen Blumenstrauß. Er finde, sagt Thünemann, die Entwürfe „megacool“. Ostertag lächelt, blickt auf seine glitzernden Schuhe und nimmt den Blumenstrauß.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen