: Blinde Flecke
Ein Hauch von Freiheit, ein Hauch von Verbot: Gleich zwei Ausstellungen, im Museum für Islamische Kunst und im Kunstraum Tanas, widmen sich Genderfragen in islamischen Gesellschaften
VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER
Links verfolgt eine Großaufnahme, wie sich eine Zunge in einem leicht geöffneten Frauenmund hin und her bewegt, rechts steht die stark vergrößerte Ansicht einer stoppeligen Achselhöhle im Fokus. Dazwischen presst in dem Videotriptychon „Variation“ von Neda Razavipours (2005) eine kaum sichtbare Frau ihre Hände gegen eine Milchglasscheibe auf der Suche nach einem Ausweg.
Intimität, Anziehung und ein Hauch von Freiheit vermischen sich mit Distanz, Verbot und Scham. Neda Razavipours ironisch-sarkastischer Blick auf Liebe und Erotik spielt mit sozialen Tabus, ohne die Regeln der iranischen Gesellschaft, auf die er sich bezieht, wirklich zu brechen.
Razavipours Videobilder gehören zu einer Reihe von Werken von sechs zeitgenössischen iranischen Künstlern, die derzeit zwischen Teppichen und Vasen im Museum für Islamische Kunst für überraschende Kontraste sorgen. Durch die Wahl vielfältiger und kontroverser Werke möchte die Ausstellung „Naqsh – Einblicke in Gender und Rollenbilder in Iran“ mit der rein dualistischen Vorstellung der unterdrückten passiven Frau und des dominanten Patriarchen brechen. Darüber hinaus erklärt sie Genderfragen für Gesellschaftsbetrachtungen als generell unausweichlich. Die Blockbusterausstellung „Babylon – Mythos und Wahrheit“, die im selben Gebäude wie „Naqsh“ zu sehen ist, meint dagegen in ihrer Archäologie weibliche Rollen zum größten Teil ausklammern zu können.
In „Me & The Woman’s Statue“ (2006) nähert sich Alireza Ghandchi, der 1976 in Teheran geboren wurde und jetzt als Fotograf und Videokünstler in Berlin lebt, behutsam einer Bronze-Skulptur von Maryam Salour an. Während die Originalstatue auf einem Sockel steht, zeigt eine schwarz-weiße Videoprojektion, wie die Hand des Künstlers Salours Plastik langsam abtastet. Das Berühren und die Suche nach weiblichen Formen in der nahezu vollständig abstrahierten Figur evoziert Fragen nach der Vorstellung von Weiblichkeit. Im weiteren Verlauf bindet ein Faden Hand und Skulptur aneinander, doch die versuchte Inbesitznahme erfolgt nur temporär.
Naqsh, wie die Ausstellung sich nach dem persischen Wort für Rolle nennt, hat zwar zeitgenössische Kunst zur Unterstreichung ihrer Thesen herangezogen, verlässt sich aber nicht allein darauf. Die Botschaft der Schau, die zum differenzierten Blick auf die Geschlechterrollen im Iran einladen will, unterstützt eine Reihe von Interviews. Roja Bandari, eine Studentin der Ingenieurswissenschaften und bekennende Frauenrechtsaktivistin, die derzeit in Los Angeles lebt, spricht über „Eine Million Unterschriften für Gleichberechtigung“, wie sich die vielleicht wichtigste Kampagne in der Geschichte des iranischen Feminismus nennt. Bis in die letzen Dörfer des persischen Hochlandes wirbt diese Offensive momentan für sich und hofft grundlegende Verbesserungen für die rechtliche Lage von Frauen durchsetzen zu können. Shahin Nawai, die 1986 ins Exil nach Berlin ging und dabei ist, ein umfassendes Werk über die Geschichte der iranischen Frauenbewegung zu schreiben, berichtet eingängig von der widersprüchlichen Situation iranischer Frauen. Sie erfahren im eigenen Land starke Diskriminierungen, haben aber oftmals Zugang zu einem breiten Bildungsangebot.
Eingeübte Geschlechterzuschreibungen und Sehgewohnheiten werden in Parastou Forouhars fotografischer Serie „Behnam“ (2008) mit subtiler Komik untergraben. Entsteht im ersten Moment der Eindruck von einer gesichtslosen Frau, deren Körper vollständig von einem Tschador umhüllt ist, entpuppt sich beim näheren Hinsehen der blinde Fleck des Antlitzes als spärlich behaarter Hinterkopf eines Mannes.
Dass der Schleier ein sehr facettenreiches Zeichen sein kann, zeigen derzeit künstlerische Auseinandersetzungen der internationale Gruppenausstellung „Mahrem – Anmerkungen zum Verschleiern“ im Tanas, dem von René Block gegründeten Raum für zeitgenössische türkische Kunst in Berlin. Auch da findet man wieder eine Arbeit von Forouhar. Die Piktogramme, die sie dabei benutzt, berühren die Welt der traditionellen Symbole wie die der modernen Labels und spielen so über eine Kluft hinweg, die im iranischen Alltag ständig bewältigt werden muss.
Einige Arbeiten in Mahrem beziehen sich auf den Körper als Austragungsort politischer und sozialer Konflikte. Mandana Moghaddam lässt den üblicherweise bedeckten verführerischen Schopf zu einer undurchdringlichen Haarpracht werden, die den Köper unkenntlich macht. Kutlug Ataman wiederum benutzt die Perücke als Hilfsmittel, um ein Porträt der sozialen und politischen Identität der Türkei zu zeichnen.
Beide Ausstellungen warnen vor zu schnellen Rückschlüssen über komplexe kulturelle Systeme, indem sie zwar Diskussionsfelder öffnen und neue Blicke gewähren. Am Ende aber lassen sie mehr Fragen als eindeutige Antworten zurück.
„Naqsh – Einblicke in Gender und Rollenbilder in Iran“: bis 7. September, So.–Mi., 9–18 Uhr; Do.–Sa., 9–22 Uhr, Museum für Islamische Kunst/Pergamonmuseum, Am Kupfergraben 5 „Mahrem – Anmerkungen zum Verschleiern“: bis 10. August, Di.–So., 11–18 Uhr, Tanas, Heidestr. 50
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