: Nachts über der Reeperbahn
Pennen im Puff: Im Hamburger Traditionsbordell „Café Lausen“ können nun auch Touristen übernachten. Im dritten Stock, direkt über dem Bordellbetrieb, bietet Manager Sönke Naß seit kurzem zwei kleine Hotelzimmer an – mit Knäckebrot und Mineralwasser am Bett
VON ANNIKA STENZEL
Nils’ Telefon klingelt. „Nein, keine Zeit“, sagt er, „ich übernachte heute im Puff.“ Grinsend legt der 34-Jährige auf. „Den Satz wollte ich schon immer mal sagen.“ Nils übernachtet heute wirklich im Bordell. Nicht, um sich mit einer Prostituierten zu treffen, sondern nur zum Übernachten. Im Hamburger Bordell „Café Lausen“ kann jeder, ob Mann oder Frau, ein Hotel-Zimmer buchen. Check-In ist ab 21 Uhr, dann wird die Glastür des mehr als 90 Jahre alten Bordells auf der Hamburger Reeperbahn geöffnet.
Vorbei am Portier, der auf der Reeperbahn potenzielle Gäste anspricht, geht es die steile rote Plüschtreppe hinauf in den ersten Stock. Dort befindet sich die Bar, rot beleuchtet, rotes Interieur. Barmann Steffen, ein bulliger Typ, grüßt: „Moin moin. Ihr seid also die Hotelgäste.“ An der Bar sitzen drei Frauen, eher gelangweilt mustern sie die Hereinkommenden. Nils, der an diversen Junggesellen-Abenden schon ähnliche Lokalitäten wie diese besucht hat, ist begeistert: „Richtig schmuck hier, sieht aus wie in den 20ern.“ Alles ist mit rotem Plüsch ausgelegt, an der Decke hängen kleine glitzernde Kronleuchter. „Wir sind hier nicht in der Kaffeestube, das ist ein Bordell“, entgegnet Barmann Steffen auf die Frage nach einem Kaffee und grinst.
Sönke Naß, der von allen Nassi genannt wird, ist der Bordell- und Hotelmanager. Er begrüßt die neuen Übernachtungsgäste und bietet eine kleine Hausführung an. Stolz zeigt er den abtrennbaren Hans-Albers-Gedächtnisraum. Hier soll Albers den berühmten Gassenhauer „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ geschrieben haben. Noch ist es früh am Abend und außer den angestellten Frauen sind keine Gäste in der Bar. Aus einem Nebenraum hört man jedoch leise, aber eindeutige Geräusche.
Die Idee, Gäste im Bordell übernachten zu lassen, kam Nassi während der Harley-Days. „Viele sind dann ja die ganze Nacht hier, da dachte ich, warum sollen die nicht gleich bis morgens bleiben?“ Jetzt steigen hier auch Touristinnen und Touristen ab.
Im ersten Stock liegen die Räume, in denen die angestellten Prostituierten ihre Liebesdienste ausführen. Alle sind mit Whirlpool ausgestattet und für Hotelgäste nur dann zu betreten, wenn sie sich dort mit einer der Frauen treffen. Die beiden Zimmer, in denen die Gäste übernachten, liegen im dritten Stock. Hier gibt es keinen Whirlpool, dafür aber einen Balkon mit Blick über die Reeperbahn. In Blumenkästen welken kleine Pflanzen vor sich hin. Nils ist vom Balkon begeistert. „Einen besseren Blick über die Reeperbahn kriegt man nicht. Leider keine Stühle, aber hier oben sitzen, Bier trinken und auf die Reeperbahn schauen, finde ich super.“ Nassi stimmt zu, Stühle hat er schon bestellt.
Das Zimmer ist klein, sauber, das Licht dimmbar und schummrig, ein großes Bett, ein großer Fernseher, daneben ein Tablett mit Mineralwasser und Knäckebrot. Es erinnert wenig an ein Bordell, eher an ein ganz normales Hotelzimmer. Kein Vier-Sterne-Zimmer, aber mehr kann man auch nicht erwarten, bei einem Hotelzimmer, das mit 49 Euro pro Nacht billiger ist, als ein Doppelzimmer in der Jugendherberge.
Zurück in der Bar ist noch immer nichts los. Schlager dröhnen aus den Boxen. Maria erklärt, dass Messe-Wochenenden die besten seien. „Bei Arztkongressen oder der Hanseboot geht es hier ab“, sagt sie. Dieses Wochenende ist keine Messe. Dass hier Hotelgäste, auch weibliche, nächtigen stört die 36-Jährige nicht. „Konkurrenz gab es noch nie“, sagt sie.
Nils, der mittlerweile seinen dritten Gin-Tonic für 14 Euro trinkt, langweilt sich ein wenig. „In einem leeren Bordell rumzuhängen ist mäßig spannend“, sagt er, „und teuer.“ Doch dann klingelt es leise. Unten hat der Portier einen Knopf gedrückt, das Signal für die Frauen, dass nun Gäste kommen. Nadja, die heute Tanzdienst hat, springt auf den runden Tisch und tanzt lasziv an der Stange.
Die Gäste sind eine Gruppe junger Männer, die einen Junggesellenabschied feiern. Der Junggeselle ist fasziniert von Nadja, einer seiner Freunde wechselt Geld, dann steckt er Nadja Fünf-Euro-Scheine in den knappen Slip. Schweißperlen rinnen seine Stirn herunter. Maria geht nun auch hinüber und räkelt sich auf dem Tanztisch. Nassi ist trotzdem unzufrieden. „Das sind keine Gäste, die auf die Zimmer gehen. Die zahlen für den Stripp und gehen dann wieder“, sagt er. Das große Geld bringt das nicht. Eine kleine Hoffnung hat er noch: Vielleicht finanzieren die Freunde dem baldigen Ehemann noch ein letztes Vergnügen.
Doch den jungen Männern ist eher nach Weizenbier zumute und auch Maria gibt schnell wieder auf. „Bringt nix“, sagt sie knapp und widmet sich ihrem Sekt. Sie arbeitet schon mehrere Jahre im Lausen. „An guten Abenden verdiene ich mehrere hundert Euro“, sagt sie. Heute ist kein guter Abend. Die Gruppe der Junggesellen wird kleiner und betrunkener. Noch einmal geht Maria zum Tisch herüber, tanzt ein wenig, doch die Gruppe verabschiedet sich. Interesse am freien Hotelzimmer haben sie auch nicht.
Es ist spät geworden, weitere Gäste kommen nicht ins Lausen. Barmann Steffen wischt noch den Tresen und macht die Musik aus. Zeit, schlafen zu gehen. Nach einer letzten Zigarette auf dem Balkon wirft Nils sich auf das Bett und schaltet den Fernseher ein. „Lieber nicht darüber nachdenken, wer hier schon genächtigt hat und was auf diesem Bett schon passiert ist“, sagt er. Von draußen tönt der Lärm der Reeperbahn so laut, dass man die Fenster geschlossen halten muss. Es ist warm und die Polyesterbettwäsche klebt unangenehm an der Haut. Gerne möchte man noch durch das Haus streifen, doch Nassi hat deutlich gemacht, dass das nicht erwünscht ist.
Nach einer unruhigen Nacht im Bordell erwacht man erschöpft. „Ein Kaffee wäre super“, sagt Nils, doch für ein Frühstück muss man ins benachbarte Hotel Monopol gehen. Die Bar ist abgeschlossen, das Bordell ist leer. Mehr als zehn Mal hat Nassi daran erinnert, dass man die Eingangstür des Bordells sorgfältig abschließen und den Schlüssel in den Briefkasten werfen soll. Auf der Reeperbahn ist es morgens um zehn still. Stille, die man sich die ganze Nacht gewünscht hat. Mit einem leisen Plopp fällt der Schlüssel in den Briefkasten. „Nächstes Mal übernachten wir im Baumarkt“, sagt Nils.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen