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Der Abgenabelte

US-Schwimmer Michael Phelps hat offenbar den Kontakt zur Konkurrenz verloren und schwimmt ihr auf und davon. Aber auch sonst hat er in seinem Leben seit den Olympischen Spielen von Athen einiges umgekrempelt

„Der Größte von allen? Das ist ein cooler Titel“

AUS PEKING ANDREAS MORBACH

Um das feine Sportlerbild für sein Publikum hübsch abzurunden, macht Michael Phelps neuerdings sogar manchmal einen Witz. So bekommt der unheimliche Rekordlieferant aus Maryland, früher für seine langweiligen Pressekonferenzen verschrien, auch ein paar menschliche Züge. Wie bei seinem ersten Auftritt in Peking, als er im größten auffindbaren Saal auf dem Olympiagelände zu seinem Bärtchen am Kinn Stellung bezog.

Neben ihm saß seine Teamkollegin Dara Torres – die 41-jährige Schwimmerin und Mutter einer zweijährigen Tochter nimmt in Peking zum fünften Mal an Olympischen Spielen teil. Als sie nach dem stoppeligen Gesichtsschmuck von Phelps befragt wurde, nahm der ihr die Antwort ab. Legte sachte den Arm um Torres’ Hals und gurrte ins Mikrofon: „Sie ist meine Mama. Sie mag mich mit und ohne Bart.“ Die Amerikaner jauchzten über diese Koketterie – und gestern Vormittag jauchzten sie wieder über ihren 23-jährigen Landsmann, als der in Peking mit seiner zehnten und elften Goldmedaille zum erfolgreichsten Olympioniken aller Zeiten aufgestiegen war.

„Ich wollte von klein auf bei den Spielen dabei sein“, erzählte Phelps später und versuchte sich an einer Gefühlsbeschreibung: „Es ist fast, als würde ich den Verstand verlieren. Der Größte von allen? Das ist schon ein ziemlich cooler Titel.“ Cool – das war der US-Supermann, der als Kind am Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom litt und deshalb dreimal am Tag das Betäubungsmittel Ritalin einnehmen musste, vor vier Jahren in Athen noch nicht. Sechsmal Gold und zweimal Bronze holte er trotzdem. Doch mit dem Theater, das schon damals um seine Person veranstaltet wurde, kam er einfach nicht klar. Dabei hatte er die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit selbst auf sich gelenkt: Vor den Spielen in Athen hatte Phelps mit seinem Schwimmanzugshersteller einen spektakulären Vertrag ausgehandelt. Hätte er damals den Rekord von Mark Spitz (siehe Kasten) eingestellt und ebenso wie der legendäre US-Schwimmer im Jahr 1972 sieben olympische Goldmedaillen gewonnen, wäre sein Sponsor zur Zahlung von einer Million Dollar bereit gewesen. Das Vorhaben scheiterte. Für die Spiele 2008 gilt der Vertrag immer noch. Doch Phelps hat offenbar seine Lektion gelernt und macht nicht mehr so viel Aufhebens darum.

Das erledigen inzwischen andere. Großverdiener Michael Phelps, der dank Sponsorenverträgen rund fünf Millionen Dollar im Jahr verdient (Wettkampfprämien nicht eingerechnet), ist ein Superstar in seinem Heimatland. Der US-Fernsehsender NBC hat dem Internationalen Olympischen Komitee 894 Millionen Dollar bezahlt – damit die Schwimmentscheidungen zu für US-Zuschauer angenehmen Zeiten fallen, nämlich zwischen acht und zwölf Uhr am Abend. NBC rechnet durch die Spiele mit Einnahmen von mehr als einer Milliarde Dollar, was natürlich nur funktioniert, wenn US-Erfolge zu besten Sendezeiten zu bewundern sind.

Aber nicht nur der Rummel um seine Person hat das Leben des Michael Phelps stark verändert. Nach den Spielen in Athen hat er sein Leben mächtig umgekrempelt: Ende 2004 zog er aus bei seiner Mutter Debbie, bei der er seit der frühen Trennung seiner Eltern gewohnt hatte. Phelps ging nach Ann Arbor, Michigan, schrieb sich dort an der Universität ein, trainierte anfangs ein bisschen zu wenig für einen Spitzenathleten und machte dafür ein bisschen mehr Unsinn als sonst. Abseits des Pools. Er nabelte sich von zu Hause ab – das, was man mit 19 eben so macht.

Beim Goldknaben Phelps bekommen aber sogar solche Banalitäten Gewicht. Zumal er selbst gern betont, wie speziell der Wegzug aus Maryland für ihn war. Und Michael Phelps ist auf den Geschmack gekommen. Unter seinem nach außen smarten, am Beckenrand aber eisenharten Coach Bob Bowman trainiert er sieben Tage die Woche, oft bis zu sechs Stunden täglich. Er beschränkt sich neben Essen und Schlafen monatelang auf das Leben zwischen den Kachelwänden. Und wenn Phelps einmal nicht will, dann will Bowman garantiert.

Aber jetzt widersetzt sich das Allroundtalent, das so viele Schwimmstile beherrscht wie kein anderer vor ihm. Weil Sportler nach Olympischen Spielen oft in ein tiefes Motivationsloch rutschen, hat sich Phelps bereits für die Zeit nach Peking gewappnet: 400 Meter Lagen, teilte er seinem strengen Trainer in China gerade mit, will er nie mehr schwimmen.

Und der Mann vom Olymp glaubt, dass Bowman ihn trotzdem noch mag. Auch ohne das anstrengende Lagenschwimmen im Programm. Dara Torres muss ihn ja auch so mögen, wie er gerade ist. Wobei er das schicke Bärtchen vor dem ersten Start in Peking zur Sicherheit doch noch schnell abrasiert hat.

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