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Ganze Körper in Strudeln

Der Tanz ist ein Gewinner der Globalisierung: Mit Stücken von Akram Khan und VA Wölfl startete die 20. Ausgabe des Festivals „Tanz im August“: Zum Jubiläum leistet man sich eine Spur von Heroismus

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Berlin ist ihre 18. Stadt. Seit Akram Khans Stück „bahok“ im Januar in Peking herauskam, tourt es durch Europa. Wie oft mögen die acht Tänzer, von denen drei zum Nationalballett aus Peking gehören, in dieser Zeit wohl real vor den Anzeigentafeln der Flughäfen gestanden haben und in den Wartesälen des internationalen Business aus der Zeit gefallen sein? Das jedenfalls ist die Szenerie ihres Stücks „bahok“, das am Freitag im Hebbeltheater die 20. Ausgabe des Festivals „Tanz im August“ eröffnete. Am zweiten Abend folgte VA Wölfls Gruppe „Neuer Tanz“ im Haus der Berliner Festspiele.

Bin ich, was in meinem Pass steht? Die Frage der Identität kommt unter die Räder in „bahok“. Im internationalen Transitraum verlieren die Reisenden die Verbindung zu den Zeichensystemen, mit denen sie sich ihrer Herkunft vergewissern könnten. Das ist das Thema einer Choreografie, deren tänzerische Formen hingegen eindeutig auf der Seite der Gewinner der Prozesse der Globalisierung stehen. Denn atemberaubend ist, wie die Tänzer aus China, Korea, Indien, Südafrika, Spanien und der Slowakei sich bewegen. Sie zeigen für Momente in Solos ein virtuoses, fast artistisches Ballett, dessen Pirouetten und Arabesken wie mal eben so aus den Gelenken hingeschleudert wirken; und eine fantastische Beschleunigung und doch große Präzision in der Technik prägt die Ensembleszenen, die damit unverkennbar die Handschrift des britischen Choreografen Akram Khan tragen.

Ein Weltstar zu Beginn

Seit nunmehr fast einem Jahrzehnt führt der dem zeitgenössischen Tanz neue Bewegungsfähigkeiten und Qualitäten zu, die sich aus dem indischen Khatak speisen und in „bahok“ zum ersten Mal auch mit der Sprache des klassischen Balletts durch die chinesischen Tänzer zusammenkommen. Wie da geschleuderte Arme den ganzen Körper in Strudel und Wirbel ziehen, wie die senkrechten Körperachsen der Drehungen des Balletts mit den über den Boden rollenden und der Erde nahen Wendungen und Spiralen der Khan-Truppe verbunden werden, wie Verlangsamung und Beschleunigung Bewegungen modifizieren, man würde all das gerne noch viel länger als die 70 Minuten der Aufführung anschauen. Zumal die elektronische Musik, indisch, chinesisch und arabisch grundiert, einen großen Sog entfaltet.

Doch trotz dieser Begeisterung über die Tänzer und den reich differenzierten Stil ihrer Bewegungsfusionen fehlt dem Stück auch etwas: eine Dramaturgie, die über das Aufführen verschiedener Nummern hinausginge. Möglicherweise liegt das daran, dass die unterschiedlichen Konzepte von Körper und Tanz, die hier zusammenkommen, zwar in den Bewegungen ausgehandelt werden, sich aber nicht mehr auf eine einheitliche Idee vom Verlauf eines Tanzstücks bringen ließen.

Mit Akram Khan hat sich das Festival Tanz im August zum 20. Jubiläum einen gefeierten Weltstar gleich zu Anfang geleistet. Mit Stolz erinnern sich die Festivalmacher und Kuratoren, Ulrike Becker und André Theriault von der Tanzwerkstatt und Bettina Masuch vom Hebbel am Ufer, daran, dass bei der ersten Festivalausgabe vor 20 Jahren an eine Fortsetzung noch nicht gedacht war. Kontinuierlich hat das Festival seitdem die Anerkennung des Tanzes gefordert, das Wachsen der Tanzszene in Berlin unterstützt; und die Spur von Heroismus, mit der sie jetzt auf die überwundenen Widerstände zurückblicken, ist aus der Geschichte der Jahr für Jahr neu beantragten und nie institutionalisierten Mittel zu verstehen.

Gast des zweiten Abends war VA Wölfl mit seiner Gruppe Neuer Tanz aus Düsseldorf, die vor 21 Jahren gegründet wurde. VA Wölfl ist ein Vertreter der Konzeptkunst, nicht nur im Tanz, und damit Protagonist einer Szene, die Tanz im August stets am Herzen lag. Wölfls Stücke sind immer wieder für eine Überraschung gut, haben doch die Auslegungen der Begriffe Choreografie und Choreograf bei ihm oft ungewöhnliche Erweiterungen erfahren.

Das beginnt schon damit, dass VA Wölfl die Aufführungen als einen Satz begrenzter Editionen begreift und man in Berlin also die Edition 6 und 7 des Stücks „12/… im linken Rückspiegel auf dem Parkplatz von Woolworth“ zu sehen bekam. Das Stück gleicht einem Konzert mehr als allem anderen, die Tänzer stehen an Keybords, Gitarren und Mikrofonen. Gesangs- und Instrumentalunterricht gehört ins Trainingsprogramm von Neuer Tanz schon seit Jahren.

Als ob der Teufel singt

Es ist eine sehr düstere Version von Pop, die sie auf die Bühne bringen. Ein Soldatensender, der für britische Soldaten im Irakkrieg und in Afghanistan sendet, mit Nachrichten über Tote und Verwundete zwischen den Liedern, stand Pate. Nun exekutiert das Ensemble Neuer Tanz die Popnummern, die von einer Compilation der c/o Pop in Köln stammen, mal mit militärischem Drill, mal von rosa Licht übergossen und leidenden Stimmen intoniert, mal das Böse leibhaftig in Szene setzend, als ob der Teufel persönlich sänge, mit heiserem, hektischem Geflüster.

Nicht nur wenn Geigen als Schuhe benutzt und mit dem Bogen wie Sägen bearbeitet werden, erinnert ihre Show an Fluxus. Tatsächlich ist VA Wölfl, der bei Kokoschka studiert hat, alt genug, um mit der rheinischen Ausgabe von Fluxus vertraut zu sein. Auch in der Musik wirkt einiges retro: Aber dennoch ist die Show viel weniger rückwärtsgewandtes Zitieren als vielmehr Studie des Musikgebrauchs, der zwischen Beschwichtigung, Ablenkung, Trost, Flucht und Ermächtigungsfantasien pendelt. „We hope you are able to forget your trouble“, sagt der Moderator, der dabei auch wie ein Kommandeur wirkt.

In die anfangs starren Arrangements, wenn sie wie die Zombies an ihren Instrumenten stehen, kommen dabei nach und nach doch minimale tänzerische Elemente. Klang wird sichtbar transportiert, der lang gezogene, klagende Ton nach einer Todesnachricht auf das Mikro zu-, an ihm vorbei- und mit einer Kopfdrehung wieder zurückgetragen. Sirenengesang. Tänzerinnenkörper legen sich lang auf Tastaturen und drücken mit dem ganzen Ellbogen Akkorde, die Musik in Stress verwandeln. Am Ende mutiert die Szenerie in diesem seltsamen Stück über die Gegenwart des Krieges in ein mechanisches Ballett: Drehteller setzen jeden der Tänzermusiker wie Puppen in Bewegung, und wie sie sich dabei rückwärts wenden, um dennoch das Mikro zu erreichen oder mit langen Seitengriffen über den Gitarrenhals streichen, ist gespenstisch. Als ob das Funktionieren die Seele schon lange überlebt hätte.

Tanz im August, bis 31. August, www.tanzimaugust.de

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