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Die Zukunftspläne des Sauriers

Die neuen Hoffnungsträger: Statt Biodiesel sollen Kraftstoffe aus fester Biomasse das Energieproblem lösen. Im Bremer Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) unterzieht man sie dem Härtetest. Ein Besuch am Fallturm

Die Industrie verhält sich wie ein Saurier – perfekt an die heutigen Bedingungen angepasst, aber zu schwerfällig für Richtungswechsel

von ANNABEL TRAUTWEIN

146 Meter ragt der gleißend helle Fallturm des ZARM in den Himmel. ZARM, das ist das Bremer Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation. Am Haupteingang hängt ein altertümlicher Telefonapparat. Die Nummer von Christian Eigenbrod, Direktor der Abteilung Verbrennung und Aerodynamik, steht in der Liste daneben. Ein gedämpftes Tuten, dann sagt eine Stimme: „Ich hole Sie ab.“ Im Eingangsbereich des Laborgebäudes steht ein modernes weißes Telefon. „Das alte benutzt hier niemand mehr“, bemerkt Herr Eigenbrod beiläufig.

Durch das Glasdach strahlt die Sonne in die aufgeheizte Laborhalle. Mittendrin thront das Betonfundament des Fallturms. Herr Eigenbrod steuert auf ein etwa anderthalb Meter hohes, zylindrisches Gerät zu. Ein Wirrwarr aus Kabeln, Stangen, Kammern, Schrauben, Lampen, Spiegeln und Spulen. Hiermit testet Eigenbrod das Zündverhalten der so genannten BtL-Kraftstoffe, das sind solche, die aus fester Biomasse synthetisiert werden.

Das Problem ist alt: Eine Alternative zum fossilen Sprit muss her. Der lange bejubelte Biodiesel, nun als weiterer Faktor für den Welthunger entlarvt, scheidet als Alternative aus. Die Brennstoffzelle sei noch nicht einsatzfähig, sagt die Industrie. Als attraktive Lösung erscheinen nun Biokraftstoffe der zweiten Generation – also Kraftstoffe aus organischem Müll.

„Das ist die große Fallkapsel“, erklärt Herr Eigenbrod. „Darin führen wir die Untersuchungen der Einzeltropfenzündung bei verschiedenen Brennstoffen wie Kerosin, Biodiesel oder BtL-Kraftstoffen durch. Hier in der Druckkammer“, er deutet auf einen etwa schuhkartongroßen Metallquader im Kern der Kapsel, „hängt der Brennstofftropfen an einem Saphirfaden, dünn wie ein Haar. Bei einer Druckhöhe bis 30 bar und Temperaturen bis 750 °C zündet der Treibstoff“. Mit Hilfe von laserinduzierter Fluoreszenzspektroskopie können die Forscher die Zündung genau beobachten.

„Unser Ziel ist es, herauszufinden, wie ein Kraftstoff im Motor oder in einer Flugturbine verdampft und perfekt vorgemischt werden kann, ohne dass das Gemisch sich selbst entzündet“, erklärt Herr Eigenbrod. Mit einer möglichst mageren, homogenen Vormischung ließe sich die Bildung von krebserregenden Ruß und dem giftigen Treibhausgas Stickoxid drastisch verringern.

Problem dabei: Bevor der verdampfte Kraftstoff das ideale Mischverhältnis mit der zugeführten Luft erreicht hat, neigt er zur unkontrollierten Selbstzündung. „Bei Dieselmotoren ist dieser Effekt heutzutage sogar noch erwünscht“, meint Herr Eigenbrod. „Die Zündung erfolgt direkt an der Einspritzdüse, dadurch läuft der Motor runder. Aber dieser Fahrkomfort bedeutet auch höhere Schadstoffemissionen.“

Die bunten Kabel, Spiegel und Leitungen glänzen im Sonnenlicht. Eine Frage drängt sich auf: Wozu der ganze Aufwand? Warum wird das ganze Forschungsarrangement aus über 100 Metern fallen gelassen? So paradox es klingt – der Einfachheit halber.

„Unter Normalbedingungen“, erklärt Herr Eigenbrod, „entsteht vor der Zündung Kraftstoffdampf, der kühler und schwerer ist als die Umgebungsluft. Er fällt nach unten ab und entzündet sich in einer ‚cool flame‘. Erst wenn diese Flamme die Umgebungstemperatur überschritten hat, wandert sie wieder zum Tropfen hoch und zündet die heiße Flamme.“

Die Forscher müssten also mindestens zwei Dimensionen berücksichtigen, was einen erheblich höheren Rechenaufwand bedeutet. Unter Schwerelosigkeit verläuft die Zündung unkomplizierter. Im freien Fall verliert der Brennstofftropfen sein Gewicht. Ungebremst von Kraftstoffdampf und kühler Flamme zündet der Tropfen, nun eine perfekte Kugel, an allen Stellen gleichzeitig. Die Forscher betrachten die Zündung entlang des Radius, der nun überall derselbe ist. So wird das Problem auf eine Dimension reduziert.

Anschließend werden aus den gewonnenen Daten Simulationen errechnet. Dazu müssen zuerst vereinfachte Modellkraftstoffe entwickelt werden, denn zur Simulation realer Kraftstoffe wäre heute kein Computer der Welt fähig. Am ZARM entwickeln die Forscher aus den Simulationen einzelner Tropfen weitere Simulationen: Anhand virtueller Tröpfchen im Mikrometerformat, wie sie als Spray in realen Antrieben vorkommen, beobachten sie, wie sich die einzelnen Tröpfchen bei der Zündung beeinflussen. So ließe sich der Zündungsvorgang auch in realen Maschinen vorhersagen.

Und damit wären auch die BtL-Kraftstoffe reif für die Zapfsäule? Herr Eigenbrod bremst die Fortschrittseuphorie: „Für das ganze Verfahren brauchen wir mehr als zehn Jahre. Mit mehr Forschungsmitteln ließe sich das beschleunigen. Die Deutsche und die Europäische Raumfahrtagentur haben in den letzten zehn Jahren etwa fünf Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Industrie beteiligt sich leider kaum und schiebt die Finanzierung öffentlichen Quellen zu, da sie sich nicht zuständig fühlt.“

Wann die neuen Kraftstoffe tankbar werden, hängt aber vor allem von den Sprit-Konzernen ab. Die sächsische Firma Choren, die gemeinsam mit Shell eine Herstellungsanlage plant, meint, bis 2020 könnten 25 Prozent des gesamtdeutschen Bedarfs aus BtL-Kraftstoffen gedeckt werden.

Herrn Eigenbrod dauert das zu lange: „Wenn das nicht schneller geht, wird BtL möglicherweise von der Wasserstoff-Brennstoffzelle überholt.“ Seiner Einschätzung nach ist die Brennstoffzelle keine Utopie mehr. Herstellbar ist sie, und bei Nutzung von Biomasse wäre sie mehr als doppelt so ertragreich wie die BtL-Stoffe. In den Augen von Christian Eigenbrod ist es die Industrie, die diese Entwicklung bremst.

„Im Gegensatz zu den BtL-Kraftstoffen muss man für den Wasserstoff-Antrieb neue Technologien entwickeln, und das macht zu viele Umstände“, sagt der Forscher. „Die Industrie verhält sich wie ein Saurier – perfekt an die heutigen Bedingungen angepasst, aber zu schwerfällig für notwendige radikale Richtungswechsel.“

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