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Ein Hauch von Mental Chicken Wrestling

Von Freitag bis Sonntag präsentiert das MIBnight Jazz Festival im Lagerhaus die Außenposten des Jazz

„Nachts um halb vier, die Welt dreht sich quietschend in ihren Angeln, während in einer Bar nebenan ein Saxophon leidenschaftlich an den Seufzern einer verstimmten Geige leckt.“ Wohl wahr, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Doch nicht genug: „Ein einsamer Abgeordneter stirbt in den letzten Meldungen des knirschenden Senders, die Nachtwache kehrt Scheine vom Trottoir, auf dem Pflaster ein Paar, das an sich zerrt.“ So schön kann es klingen, wenn Musiker ihre Musik in Sätze gießen. Auf Platz Eins der taz bremen-Bandinfo-Hitliste: „Four“. Im Lagerhaus wird die Combo eine „Rhythmusstörung im Siebenachtel“ durchstehen und dabei „piazollischen Tango, skurrile Tanzmusik und bukolischen Jazz“ mischen.

Von Freitag an präsentiert das MIBnight Jazz Festival auf drei Etagen im Lagerhaus die Außenposten des Jazz – experimentell, seltsam, zeitgenössisch. Um 20 Uhr startet das Elsner / Kröger Quartett mit „hohen klangästhetischen Ansprüchen“, parallel dazu betreibt das Trio „Eleluku Research“ Klangforschung in Sachen „unverstärkter Ukulelen-Sound“. Danach (21.15 Uhr) verwandelt das Berliner Lisa Bassenge Trio Popsongs zu „Popsongs im Barkleid“. Die Berliner Zeitung erkannte in Bassenge eine „Meisterin des ins fast Unendliche verlängerten Aushauchens“.

Freitag 22.30 Uhr, „Das Wilde Fest“ beginnt. „Mental Chicken Wrestling Jazz“ ist angekündigt – das „dreht die Crossover-Schraube noch ein wenig weiter“, zweifellos. Da sieht dann das Holzbläser-Duo „there‘s treasure everywhere“ mit dem „Grenzbereich zwischen zeitgenössischer Musik und Free Jazz“ vergleichsweise blass aus (22 Uhr). Und DJ Caulfiel in der MIB-Lounge setzt dazu noch auf Understatement: „minimalistische Elektronik“ ab 20 Uhr.

Am Samstag dann per „nacht-eXPRess“ (20.30 Uhr) eine Reise „durch mystische Balkan-Grooves, strahlende Nordlichter, brasilianische Provinzen und afrikanische Wildnis.“ Und Großstadt – zumindest ab 21.45 Uhr bei den Berlinern „Micatone“. Das englischsprachige Bandinfo raunt von „live music with samples and electronic elements“. Zwei Stockwerke darüber kombiniert das Duo „Float“ Saxophonklänge mit Didgeridoos und ab 23.00 veröffentlicht DJ Keb Darge „ultra-rares Tonmaterial“ unter dem Begriff „Rare-Funk“.

„Die Musik der beiden New Yorker Improvisationskünstler kommt aus einer selten zarten Welt mit einer Verbeugung vor der Stille“ – Gitarrist Chris Forsyth und Bassist Jaime Fennelly starten am Sonntag um 20.45 Uhr, nachdem die Bremer Free Space Jazzer „S.A.R.“ um 20 Uhr in „radikaler Spielauffassung“ den „Groove neu erfunden“ haben. Hört, hört. Da könnte es um 21.15 Uhr für „Ilse Lau“ eng werden, denn Ilse gebiert nicht, sie lernt von den Alten: „Großvater Dub, Großtante Semiakustik, Schwester Pop und Altmeister Minimalismus“ – das klingt nach langem Bart. Und belegt doch einmal mehr die These des Frank Zappa: „Jazz isn‘t dead – it just smells funny.“ Klaus Irler

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