: Nordirak: Neuer Streit aus alten Tagen
Der Zugriff aufs Öl bestimmt die Debatte über Nordirak nach Saddam. Ankara prüft seine historischen Ansprüche
ISTANBUL taz ■ Als gestern der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon in Ankara seinen Kollegen Vecdi Gönül traf, um für die Stationierung amerikanischer und englischer Soldaten auf der türkischen Seite der irakischen Grenze zu werben, erwartete ihn eine bizarre Diskussion. Seit Tagen wird in der Türkei öffentlich debattiert, ob – und wenn ja, welche – historischen Ansprüche das Land an der irakischen Provinz Mosul geltend machen kann. Dies ist ein Streitfall, in dem vor allem die Briten eine große Rolle spielten.
Es ist kein Zufall, dass die Frage nach türkischen Ansprüchen an Mosul just jetzt wieder aufgegriffen wird. In der Provinz im Norden des Landes liegen rund um Kirkuk die größten Ölvorkommen des Irak und bereits im Vorfeld des Krieges ist hinter den Kulissen heftiger Streit darüber ausgebrochen, wer im Post-Saddam-Irak die Ölquellen kontrolliert. Während Washington plant, sich erst einmal selbst das Öl zu sichern, wollen die nordirakischen Kurden Kirkuk zur Hauptstadt ihres autonomen Gebietes machen. Die Türkei reklamiert Kirkuk und Umgebung für die irakischen Turkmenen.
In dieser Situation überraschte Außenminister Yasar Yakis vor drei Tagen in einem großen Interview in der Tageszeitung Hürriyet mit der Feststellung, die Regierung lasse derzeit untersuchen, ob womöglich noch ein historischer türkischer Anspruch an dem irakischen Öl bestehe. „Das Öl“, so Yakis, „gehört zwar dem irakischen Volk, aber es könnte sein, dass die Türkei noch Ansprüche geltend machen kann.“
Hintergrund der Geschichte ist ein nie endgültig geklärter Streit zwischen der jungen türkischen Republik und dem britischen Empire in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Im Friedensvertrag von Lousanne, der 1926 geschlossen wurde, blieb das damalige Velajat Mossul ein offener Streitpunkt. Während die Türkei die osmanische Provinz für sich reklamierte, hielten die Briten das Gebiet zunächst weiter besetzt und gliederten es später in das neu gegründete Königreich Irak ein.
Schon damals wusste man um die reichen Ölvorkommen in dem Gebiet, weshalb die Türkei vor dem Völkerbund gegen Großbritanien klagte und zumindest ein Teilerfolg erzielen konnte. Für 25 Jahre sollten die Briten die Türken an den Ölgewinnen beteiligen. Türkische Wissenschaftler rechnen nun akribisch vor, dass der Irak unter den Haschemiten auch insgesamt 13 Jahre gezahlt habe, seit 1955 aber kein Geld mehr geflossen sei. „Theoretisch“, so der bekannte Politologe Özdem Sanberk in Hürriyet, „sind also noch 12 Jahre offen.“
Obwohl niemand ernsthaft glaubt, dass sich daraus einklagbare Rechte ableiten lassen, verschafft es einem möglichen militärischen Zugriff auf Kirkuk doch zusätzliche Legitimität. Während Ministerpräsident Abdullah Gül noch durch die Nachbarstaaten des Irak tourt, um mit Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien zu beraten, wie ein Krieg verhindert werden kann, sollen nach israelischen Informationen die Kriegsplaner im Pentagon bereits ein Konzept vorbereitet haben, wie sich der Konflikt zwischen den konkurrierenden Interessenten um das Öl beilegen lässt.
Danach sollen die Kurden akzeptieren, dass die türkische Armee zunächst einmal Kirkuk besetzt und mittelfristig dort ein autonomes Turkmenen-Gebiet entsteht. Im Gegenzug soll die Türkei die Autonomie des kurdischen Nordirak anerkennen und die Kurden einen festgelegten Anteil an den Ölgewinnen bekommen. US-Truppen würden dieses Arrangement dann langfristig absichern.
Nach dem britischen Verteidigungsminister Hoon wird nun als nächster Gast in Ankara der amerikanische Generalstabschef Myers erwartet. Noch weigert sich die türkische Regierung zumindest offiziell, den USA ihre Flughäfen zur Verfügung zu stellen und der Stationierung von alliierten Bodentruppen zuzustimmen.
Voraussetzung für eine türkische Entscheidung ist eine neue Resolution der Vereinten Nationen, sagt Ministerpräsident Abdullah Gül, und Außenminister Yakis machte gegenüber dem Sender CNN-Türk unmissverständlich klar, dass man die Frage auch im Parlament behandeln will. Vielleicht wollen die Verantwortlichen aber auch erst einmal abwarten, was General Myers zu bieten hat. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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