: Big Brother, Betschart & Bohlen in Bremen
Bei der Eröffnung des 39. Sechstagerennens ging’s in der Stadthalle ausnahmsweise mal wieder mehr um den Trink- denn um den Radsport. Mit wirklichen Promis und dem irren Freimarktflair sollen die 130.000 Besucher des letzten Jahres diesmal überboten werden
Aus dem „Caipirinha Cana Rio“ erklingen Salsa-Rhythmen, im „Los Habanos“ werden karibische Drinks ausgeschenkt – und nebenan gibt’s die passende Auswahl an schrödermäßigen Zigarren.
Schöner Versuch, doch nur ein paar Meter weiter bei Spießbraten und Haake-Beck wird schnell klar, dass es sich hier nicht um Karneval in Rio, sondern um die mitteleuropäisch-zünftige Eröffnung des Bremer Sechstagerennens handelt. Zum 39. Mal fiel am Donnerstagabend in der Bremer Stadthalle der Startschuss für sechs Tage Sport: Radsport für die einen, Trinksport für die anderen. Letztere sind bei den Sixdays in der überwältigenden Mehrheit: Aus der ganzen Republik strömen die Sauflustigen nach Bremen. Es geht darum, rund 1.300 Hektoliter Bier und 53.000 Gläser Sekt zu vernichten. Dass sich zwölf Radlerduos auf der Steilbahn wilde Verfolgungsjagden liefern und sogar Motorrädern hinterher jagen, gerät eher zur Nebensache.
Hauptsache, ein Promi läutet den „Bremer Karneval“ ein. Die Macher des Rennens haben sich auch diesmal etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Nach Sabine Christiansen und Nina Ruge im vergangenen Jahr darf 2003 ein wirklicher Weltstar den Startschuss abfeuern: Dieter Bohlen gibt sich die Ehre.
Gemessen an seinem Applaus ist er so wichtig wie alle Sportler zusammen. Die Liste der Weltstars aus der dritten Reihe lässt sich beliebig fortsetzen: Big Brother-Jürgen, die Aprés-Ski-Tante Möhre oder die Stimmungsprofis Klaus & Klaus – alle da, um die Zahl von 130.000 Zuschauern aus dem vergangenen Jahr diesmal zu überbieten. Wenn’s sein muss, kann auch gleich mehrmals täglich eingeheizt werden.
Da ist es gar nicht mehr so wichtig, ob die Schweizer Rekord-Radler Bruno Risi und Kurt Betschart ihren Titel auf der mit 166 Meter kürzesten Sechstage-Bahn verteidigen können. Dabei ist das Rennen keineswegs nur ein Vorwand, um mal wieder ganz tief ins Glas zu gucken: Im Oktober beginnt die Sixdays-Saison in Amsterdam, die Teams radeln unter anderem in Grenoble und Gent. Bremen ist also, einige Radfans könnte das trotz allem interessieren, die Krönung einer ganzen Reihe von Sixdays.
So viel gefeiert wie hier wird allerdings nirgendwo. Dafür sorgen allein schon 72 Sauf- und Fressbuden. Doch damit nicht genug: Die Sixdays-Macher haben auch noch das halbe Freimarktpersonal engagiert: Vom T-Shirt-Verkäufer („Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils“) über die obligatorischen Schießbuden bis hin zum Stand mit Fußball-Devotionalien findet der Fetenhits-erprobte Kampftrinker alles, wirklich alles, was seine Leber begehrt.
Archie Bogena zum Beispiel kommt seit dreißig Jahren zu den Sixdays – und zwar zum Feiern. „Früher ging es noch mehr ums Radfahren, heute kommen die Leute aus ganz Deutschland“, erklärt Bogena.
Das Rennen selbst findet der Bremer nur am letzten Tag interessant, „wenn die Entscheidung fällt“. Vielleicht halb so alt sind Michael Hamel und Bastian Michael, die den Ruf der Jugend retten wollen. Sie sind nämlich nicht zum Trinken hier, sondern „wegen der Radfahrer“, wie Hamel beteuert. Dass sie trotzdem vor einer beachtlichen Ansammlung voller wie leerer Bierkrüge stehen, liege natürlich nur daran, „dass beim Rennen gerade Pause ist“.
In einem sind sich alt und jung aber einig: „Die Preise sind viel zu hoch“. Wenigstens sind sie nicht gestiegen: Schon im letzten Jahr mussten Trinker satte drei Euros für schlappe 0,4 Liter Bier berappen.
Das scheint die 18.200 Besucher Donnerstagnacht aber nicht vom Zechen abzuhalten. Schon kurz nach dem Startschuss um 21 Uhr johlen die ersten Teutonen klatschend „Und dann die Hände zum Himmel“.
Das haben sich Andi Kappes und Andi Beikirch sicher nicht zu Herzen genommen. Denn wer den Lenker immer schön fest umklammert, wird später auch belohnt: Das Team in rot steht nach der ersten Renn-Nacht auf Platz eins.
Sebastian Kretz
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