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Mit Tapeten ins All

Im FEZ Wuhlheide bricht das Raumfahrtzentrum wieder in den Kosmos auf. Das Orbitall ist ein Nachbau der internationalen Raumstation. Zur Eröffnung kamen echte Astronauten und Orion-Kids

von ANNE HAEMING

„Zur ISS-Raumstation? Da lang.“ Zwei Damen in extraterrestrischen Silberanzügen weisen den Weg. So unbemerkt, wie sie gekommen sind, schleichen sie wieder von dannen. So muss man sich wohl die ätherischen Wesen vorstellen, die schon Juri Gagarin den Gang in die Raumkapsel versüßten.

Aber hier ist nicht Bajkonur. Hier ist Wuhlheide. Und statt Gagarin haben sich vier propere Herren mit Krawatte eingefunden. Ein Sonnyboy, ein Rentner mit Bürstenhaarschnitt, daneben ein graumeliertes Allerweltsgesicht und der Jüngste, etwas käsig um die Nase. Kein Wunder: Bis Mitte November kreiste Sergej Wiktorowitsch Saljotin noch als Kommandant in der Sojus TMA-1 durchs Weltall. Den gravitationsbedingten Gewichtsverlust hat er offensichtlich wieder ausgeglichen. Saljotin ist der einzige aktive Astronaut der illustren Runde. Die anderen waren schon länger nicht droben – ohne ihre Michelin-Anzüge sind sie kaum wiederzuerkennen. Thomas Reiter, Sigmund Jähn und Ulrich Walter sind ans Repräsentieren gewöhnt, sie nicken hierhin und dorthin, geben ihren Fans Autogramme und schreiten zur Tat.

Das Raumfahrtzentrum Wuhlheide wird wiedereröffnet, die vier aus dem All sind für den Glanz zuständig. Die alte Orbitalstation des FEZ war von 1979 und der russischen Raumkapsel Sojus nachgebaut. Davon will die neue nichts mehr wissen. Das Vorbild ist jetzt international, die ISS, International Space Station. Der Nachbau heißt jetzt schmissig „Orbitall“, 571.000 Euro soll er gekostet haben. „Wir haben versucht, an allen Ecken und Enden günstig und sparsam zu sein“, beteuert die Architektin Gudrun Sack. Es klingt wie eine Rede zur Lage der rumpelbudigen Mir.

Die Zeit wird knapp, der Countdown läuft. Die Mannschaft wird in Richtung Schleuse geschleust. Bombastische Filmmusik dringt durch die Türritzen, geliehen von einem Bruce-Willis-Weltraumdrama. Launig fachsimpelt der Expertentrupp über die Unterschiede zwischen Astronauten, Kosmonauten, Spacionauten und Taikonauten. Man einigt sich auf nationale Eitelkeiten, alle wollen ihr eigenes Wort. Da die Mehrheit des Raumfahrerquartetts bereits Lichtjahre von ihrer aktiven Zeit entfernt ist, tut mentale Vorbereitung Not. Kleine Ariane-Modelle, Geröll vom Mond und russische Astronautennahrung in Tuben und Dosen säumen den Weg.

Am anderen Ende wartet blaumetallenes Licht, die Türen zur Schleuse zischen auseinander. Die vier Astronauten und eine Herde Kinder vom Orion – so heißt ihre Kita – quetschen sich hinein. Nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Raumprobleme in der Kapsel. Von Berührungsangst keine Spur, die Kleinen wissen nicht, dass sie mit Idolen eingesperrt sind. Auf einem Bildschirm taucht Sonnyboy Walter auf. Mit dem Rücken zur Weltkarte spricht er zu den Gefangenen: „Das Durchschütteln beim Start ist das Tollste. Und der Blick auf die Erde. Jeder Kontinent hat eine eigene Farbe.“ Noch ein wenig Warten in Blau, dann öffnet sich endlich das Garagentor.

In der Trainigshalle tritt der Generationskonflikt offen zutage. Als die kosmonautische Viererpotenz in den Saal schwebt, fangen zwar ein paar Augen fast an zu fluoreszieren. Doch die Glückstrunkenen saßen bei der ersten Mondlandung schon vor dem Fernseher. Der Nachwuchs aus der Kindertagesstätte Orion stürzt sich unbeeindruckt auf Drehsessel, Taumelscheibe und das Laufband Marke Cosmos. Mit diesen Trainingsgeräten bereiten sich Raumfahrer monatelang auf die Strapazen in der Schwerelosigkeit vor. Den Kindern macht’s Spaß. Eine Sporthalle in spaciger Kluft.

Hinter Glaswänden lauert das Kontrollzentrum. Allein der Anblick holt alle auf den Boden zurück, die die Ernsthaftigkeit des Unternehmens Orbitall aus dem Blick verloren hatten. Hier sitzen Experten für Triebwerke, Geografie, Astronomie und was man sonst noch so braucht, um eine bemannte Raumfahrt zu überwachen. Computermonitore? Langweilige Stühle? Die Kinder vom Orion zeigen sich nicht interessiert. Dabei hatte Götz Wange, Sprecher „der größten Raumfahrtfirma Deutschlands“, Astrium, so auf den pädagogischen Effekt von Orbitall gesetzt. Sie brauchten den Nachwuchs dringend, hatte er vor der Schleuse mit allem Nachdruck gesagt. Deswegen habe sich die Industrie auch so für das Projekt interessiert und es kräftig gesponsert.

Reiter, Jähn, Walter und das Nesthäkchen Saljotin gehen ausnahmsweise untrainiert ins Raumschiff. Die reale ISS hat eine Spannweite von 108,6 Metern und ist knapp 80 Meter lang. Anders ausgedrückt: das Volumen von zwei Jumbojets. In Wuhlheide geht’s etwas beengter zu. Niedrige Decken, schummriges Licht und stickige Luft. Exastronaut Reiter fühlt sich fast wie zu Hause. „Es kommt einem geräumiger vor als in der Mir.“ Auch die Knöpfe, Tasten, Schalter, die in Klein, Mittel und Groß alle Wände und Decken besetzen, kommen ihm bekannt vor. „Inzwischen steuert man 90 Prozent aller Sachen sowieso über die Computertastatur. Die ganzen Schalter braucht man nur bei Start und Landung.“ Die Technik, die da dicht an dicht alle Flächen dekoriert, ist zwar mit pompösen Schildern versehen, aber auf dieser irdischen Fahrt mit Orbitall wird niemand herausfinden, was passiert, wenn man auf „Auxiliary“ drückt, auf „28V Exp“ oder auf „Off“. Es sind Fototapeten. Reiter ist zwar von der Realitätsnähe schwer beeindruckt, „aber die Schwerkraft ist immer noch da“, meckert er.

Die Mädchen von der Kita sind ebenfalls kritisch. Die Rockfanfaren sind in ein dumpfes Brummen übergegangen. Jeanette, Janina und Julia halten sich die Ohren zu: „Es ist so laut, und da ist so ein Druck im Kopf.“ Künftige Astronautinnen würden nicht so zicken. Als Nachwuchs für die Industrie bringen die Fünfjährigen zu wenig naturwissenschaftlichen Sachverstand mit. „Wie kommt denn die Milch in die Milchstraße?“, will Jeanette wissen.

Keine Zeit für Fragen, das Raumschiff ist startklar, der Countdown hat angefangen: „… trois, deux, zero …“ Dann der Take-off. Applaus. Die Funkverbindung rauscht und quäkt, unverständlich. Jetzt ein Erdreich für einen Blick auf den Globus. Aber dafür ist sowieso nur in der Mittagspause Zeit; Ulrich Walter hatte von ganzen fünf Minuten pro langen Kosmonautentag gesprochen.

Die offizielle Eröffnungsrede hält ein echter Alien, über seinem Kopf baumelt ein Saturn aus Pappe. Es ist Cherno Jobatey.

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