piwik no script img

nebensachen aus moskauFreizeitgestaltung einmal anders

Superreiche und der Elendskick

Russlands Reiche langweilen sich. Nach zehn Jahren gepflegter Öde auf gehobenem Niveau in Nizza, Davos oder den Seychellen verlangt es sie nach einem Kick. Und dafür sind sie auch bereit zu zahlen, wie üblich generös und ohne zu feilschen. Auch der Westen kennt das Phänomen, dass Topmanager auf Zeit aussteigen und für eine Woche Erniedrigung oder Überlebenskampf nennenswerte Summen hinlegen.

In Moskau hat der Psychologe Sergej Knjasew aus dem Bedürfnis der Finanzelite, einmal arm, dreckig oder nur auch menschlich sein zu wollen, ein – auf die Besonderheiten Russlands zugeschnittenes – lukratives Geschäft entwickelt. Seine Firma Producers Center hüllt die Gutbetuchten in Flick- und Fetzenmode mit einem Schuss fragrance „eau des sans-logis“, die Stylisten und Make-up-Artisten von Fall zu Fall kundenspezifisch zusammenbrauen. Ein Nachmittag als Obdachloser ist für rund 5.000 Dollar zu haben.

Die meisten Oligarchen, Moskaus Superreiche, favorisieren die Bahnhöfe der Hauptstadt als Bettelgebiet. Auch daraus machen sie noch eine Wette. Wer nachprüfbar am meisten Mitleid erregt, dem winkt der Gewinn des rein symbolischen Einsatzes der Mitspieler von 500 Dollar. Auf mehr als 17 US-Dollar Kollekte brachte es bisher kein Superreicher. Das verwundert nicht, da die wenigsten Geld mit eigener Hände Arbeit verdient haben.

Polizei und die echten Obdachlosen hält Knjasew für die Zeit des Freilaufes seiner Kunden von ihnen fern. Trotz der Ruhehaltepauschale, die die Polizei verlange, sei die Verständigung schwieriger als mit der echten Obdachenlosengemeinde, die sich recht diszipliniert verhalte.

„Ich habe zum ersten Mal mein Gewissen gespürt“, hatte ein Superreicher Knasjew gestanden, als eine arme Frau ein paar Rubel in den Hut legte. Das hat Schule gemacht, immer mehr gehen seither auf die Suche nach dem verlorenen Gewissen. Für gehörige Irritationen sorgte ein Großmogul, der sich mit Gleichklassierten als Polizist verkleidet an Moskaus Ausfallstraßen postiert hatte. Sie hielten einen Autofahrer gleich dreimal hintereinander an. Der Erste monierte den verdreckten Wagen und schenkte ihm 100 Rubel für die Reinigung, der Zweite schickte ihn zum Friseur und steckte ihm ein paar Scheinchen zu, der Dritte gab ihm ein Geschenk für die Frau Gemahlin mit. Wer Russlands Polizisten kennt, den mag ein derartiger Vorfall um den Verstand bringen. Es gehört zum Prinzip des Unternehmens, das Geheimnis der Gutmenschen auf Zeit nicht zu lüften.

Apropos lüften: Beliebt ist es unter den wohlsituierten Damen in Moskau, auf den Straßenstrich zu gehen. Allerdings fällt der Rock, sobald ein Kunde angebissen hat. Die zuschauenden Ehemänner sollen dabei außerordentlich ehrgeizig sein und auch nicht davor zurückschrecken, den Rocksaum ihrer Gattinnen zu lüften, muss der Klient noch überzeugt werden. Auch hier gilt: Gewonnen hat die Dame mit den meisten Freiern.

Etwas degoutant findet Knjasew dagegen die Romantik-Nummer aus seinem eigenen Sortiment. Eine Frau, die aus einer Lonely-Hearts- Rubrik ausgewählt worden ist, wird an drei Abenden von überaus attraktiven Schauspielern in ein vornehmes Restaurant eingeladen. Jedes Mal geben die Traummänner ihrem Date einen Kuss und verschwinden dann auf Nimmerwiedersehen. Fernab sitzt ein reicher Klient, für den dies veranstaltet wurde und der sich auf diese Weise von unzähligen Wunden heilen lassen möchte.

Das Spiel, wer landet im gut bewachten Supermarkt den Superklau, auch in Knjasews Angebot, ist da eine vergleichsweise fade Nummer.

KLAUS-HELGE DONATH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen