pampuchs tagebuch: Amerikanischer Kies
„Happy New Year!“ – oder „Happy new ears!“, wie meine Freundin C. zu sagen pflegt. In jedem Fall wird es wohl ein englisch-amerikanisch geprägtes Jährchen, das werden die neuen Ohren schon merken. Hinweise darauf gibt es allenthalben. Zum Beispiel habe ich gelesen, dass die meisten Jugendlichen heute bei überraschenden Begebenheiten, Fehltritten oder kleinen Missgeschicken „Oops!“ statt „Hoppla“ sagen. Da wird doch deutlich, was auf uns zukommt. Und wie um diese Tendenz zu illustrieren, hat mir C. auch eine Happy-New-Year-Mail mit der Betreffzeile „I hope I get this back (fwd)“ geschickt, die mich in meinem Glauben bestärkt, dass wir aus dem angloamerikanischen Raum demnächst allerlei zu gewärtigen haben. Nicht nur Schlechtes. „Peace and love, Susan“, heißt es nämlich gleich zu Beginn der Nachricht, und da freut man sich doch erst mal.
Dann geht es fett weiter: „Live as though Christ died yesterday, rose from the grave today, and is coming back tomorrow.“ Nun je, denkt sich da der laizistische Mitteleuropäer, so sind sie halt, die frommen Amis. Es folgt eine kleine Geschichte von einem Philosophieprofessor, der seiner Klasse ein leeres Majonnäseglas präsentiert, das er zunächst mit größeren Steinen auffüllt. Dann schüttet er Kieselsteine dazu und gibt am Ende noch Sand hinein, bis das Glas so richtig schön voll ist. Hierauf erklärt der Professor, dass dieses Glas das Leben repräsentiere. Die Steine seien die wichtigen Dinge: Familie, Partner, Gesundheit; die Kiesel repräsentierten die anderen Dinge im Leben; die zählen zwar, sind aber nicht ganz so wichtig: Job, Haus, Auto; der Sand schließlich sei alles andere, die kleinen Dinge eben. Gäbe man nun aber zuerst die Kiesel und den Sand ins Glas, hätten die großen Steine keinen Platz. So sei es auch im Leben. Folgt die Moral, dass man eben nicht seine ganze Zeit und Energie für die kleinen und materiellen Dinge aufwenden solle, sondern auf die wichtigen achten müsse: „Play with your children. Take your partner out dancing …“ Für die Arbeit, das Saubermachen und all das andere Zeug sei dann immer noch Zeit. Kurz: Prioritäten setzen, der Rest ist nur Kies und Sand.
So weit, so schön. Nun aber kommt’s. Nach all der schönen Weisheit werden wir aufgefordert, diesen Text INNERHALB EINER STUNDE an ALLE unsere Freunde zu schicken und uns schleunigst etwas zu wünschen. Der Erfüllungstermin des Wunsches richtet sich dabei nach der Zahl der beglückten Freunde. Bei 1 bis 2 Freunden könne es bis zu einem Jahr dauern, bei 10 immerhin nur noch drei Tage und bei 20 ganze drei Stunden. Außerdem habe man die Botschaft innerhalb von drei Stunden an den Absender („if you are my true friend“) zurückzuschicken. Lösche man sie hingegen, sieht das Kettenbriefgericht PECH nicht unter einem Jahr vor.
Wer zum Teufel sind die Autoren dieser furchtbaren Botschaften? Kann mir doch keiner erzählen, dass da Jesus dahinter steckt. (Oder schaut der vielleicht deswegen schon morgen mal vorbei?) Ich tippe eher auf Yahoo, AOL und die anderen üblichen Verdächtigen. Dass die sich jetzt mit erbaulichen Happy-New-Year-Geschichtchen an uns ranmachen, um uns dann mit Glücks- und Pechverheißungen zu überziehen, halte ich für einen Neujahrsskandal erster Güte, der auch keineswegs dadurch geschmälert wird, dass er nun so anmutig philosophisch-angloamerikanophil daherkommt. In Wahrheit geht es diesen Happy-New-Year-Forwardern keineswegs um die „Steine“, sondern um ganz schnöden Kies. Und das möglichst in Mengen. „Play with your clients“ heißt die Devise. Bei Kettenbriefen gilt daher auch im neuen Jahr: Sofort löschen. Oops! Aber hoppla! THOMAS PAMPUCH
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