: Todesschuss mit Vorsatz
Einbrecher Julio V. wurde an Heiligabend von einem Polizisten erschossen. Der und Innensenator Schill sprachen von Notwehr. Die Spurenlage aber weist auf vorsätzliche Tötung hin. Neue Polizeimunition könnte ursächlich für Tod des 25-Jährigen sein
von KAI VON APPEN
Die Hamburger Polizei und Innensenator Ronald Schill haben die Öffentlichkeit über die Hintergründe des polizeilichen Todesschusses am Heiligabend im Uhlenhorster Weg offensichtlich bewusst getäuscht und Ergebnisse der Ermittlungen von der Mordkommission verschwiegen. „Das war keine Notwehrsituation, das war ein vorsätzliches Tötungsdelikt“, klagt Rechtsanwalt Manfred Getzmann an, der die Angehörigen des Erschossenen vertritt. Der 25-jährige Holländer Julio V. wurde wahrscheinlich zudem Opfer der umstrittenen und international geächteten „Deformationsgeschosse“ der Hamburger Polizei.
Für Getzmann ist nach der Auswertung der Akten und der Spuren am Tatort klar: „Es hat keinen Schusswechsel im Treppenhaus gegeben.“ Dies hatte zunächst der 42-jährige Oberkommissar zur Rechtfertigung des Schusses aus seiner Dienstpistole angegeben. Der Beamte wollte in Notwehr auf „bewaffnete Einbrecher“ im Flur des Hauses geschossen haben. Das hatte auch Schill vollmundig bestätigt, der noch Heiligabend mit den betroffenen Polizisten im Revier Oberaltenallee gesprochen haben will. Doch weder hatte der Polizei-Kollege vor Ort einen weiteren Schuss wahrgenommen, noch erhärtet die Spurenlage die Version des Schützen.
Die Fakten legen vielmehr folgenden Ablauf des Geschehnisses nahe: Als die Einbrecher das Anrücken der Polizei bemerkt hatten, versuchten sie durch einen Sprung aus dem Flurfenster im ersten Stock zu fliehen. Als das Trio über den Hinterhof zu entwischen drohte, schoss der Polizist Julio V. in den Rücken. „Der Schusskanal deutet darauf hin, dass er von oben aus dem Fenster in den Rücken geschossen wurde“, sagt Getzmann.
Diese These belegen sowohl das im Hof gefundene Projektil als auch die nur wenige Meter entfernt liegende Patronenhülse. „Wenn noch im Treppehaus auf das Opfer geschossen worden wäre, müssten an dessen Kleidung Schmauchspuren sein“, rekonsturiert Getzmann weiter.
Die Version des Anwalts wird durch Feststellungen der Mordkommission bestätigt, die an den Schuhen des Opfers „Blutspritzer“ gefunden habe, aber keine Blutflecken. „Die Kugel durchdringt den Körper, reißt Blut mit und hinterlässt Spritzer.“ Julio V. verblutete nach wenigen Metern Flucht.
Erst vorige Woche hat die Staatsanwaltschaft offiziell gegen den Polizisten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Er schweigt zu den Vorwürfen und ist in den Urlaub gefahren.
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