: Das Prinzip Fettsucht
Guiness-Rekorde, Heiratszeremonien, Event-Halle. Die Internationale Grüne Woche ist eine übergewichtige, nimmersatte Veranstaltung geworden, auf der das Thema Ernährung längst an den Rand gedrängt ist. Ein Plädoyer für eine Schrothkur
von TILMAN VON ROHDEN
Immer zu Jahresanfang, wenn die gequollenen Bäuche noch die weihnachtliche Fettlebe abarbeiten, warten schon die nächsten Fresstage und heben an, den malträtierten Mägen und Därmen erneut zuzusetzen. Internationale Grüne Woche heißt der verführerische Anschlag auf die Figur von konventionellen Verbrauchern, Apologeten des biologischen Landbaus und Fachleuten der landwirtschaftlichen Produktion, Vermarktung und des Einzelhandels. Darüber hinaus tummeln sich in den 26 Messehallen und Kongresssälen unter dem Funkturm Experten der unterschiedlichsten Couleur: Naturwissenschaftler, Touristik- und Marketingspezialisten, Minister und Ministeriale aus Bund und Land, Fachleute für die Freizeiten, Bier- und Weintrinker aus Profession, Lobbyisten, Gourmets und Gourmands, Besorgte und Begeisterte. Haben wir irgendeine Gruppe vergessen?
Denken Sie sie hinzu! Es wird schon richtig sein, denn die Grüne Woche kennt kein Pardon: Sie schließt mit Jubelgeschrei jeden in ihre Arme und klammert mit all ihrer Macht als international anerkannte Leitmesse für Holzfällen, Angeln, Sportponys, Urlaub auf dem Land, landwirtschaftliches Marketing, Hochzeiten im Blumenmeer, Jugendkultur, Porzellan und Besteck, Ziertiere – ach, ja – sowie Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau. Haben wir irgendein Thema vergessen? Denken Sie es hinzu. Es wird schon richtig sein.
Aus kleinen Anfängen im Jahr 1926 auf 7.000 Quadratmetern in einer Funk- und einer Autohalle ist im Laufe der Jahre ein nimmersatter Krake mit rund 150.000 Quadratmetern mit Ausstellern aus rund 50 Ländern geworden. Im vergangenen Jahr tummelten sich unter dem Funkturm 450.000 Besucher, Fachleute und Flaneure. Sie gaben 73 Millionen Euro aus und ließen sich von 3.700 Journalisten aus aller Welt dabei über die Schulter gucken.
Für die Grüne Woche ist diese anhaltende Fettsucht ebenso wenig bekömmlich wie für die Bäuche, die sie bevölkern. Was als lebenspraktische Ausstellung begann, ist zum singulären Welt-Mega-Event hochgerüstet worden. Kein noch so belangloser Modetrend, für den sich die Messe nicht interessierte.
Dabei kollidiert die Grüne Woche in merkwürdiger Weise mit ihrem eigentlichen Thema – Landwirtschaft und Ernährung. Denn auch die kreativsten Ausstellungsmacher kommen nicht am Faktum vorbei, dass Landwirtschaft und Ernährung konservative Themen sind. Wir goutieren im Wesentlichen das, was schon Alexander der Große, Julius Cäsar oder unsere Großmütter und -väter vorfanden: Obst und Gemüse, Fleisch, Brot, Wasser, Bier und Wein sowie ein paar Süßigkeiten. Aus Sicht der Kreativlinge aller beteiligten Branchen, die jedes Jahr einen megamäßigeren Hype produzieren müssen, eine einzige Katastrophe.
Die Macher der Grünen Woche ficht die Struktur ihres Themas wenig an. Sie sorgen Jahr für Jahr unverdrossen für die neueste Weltsensation und verfallen dabei auf immer abseitigere Themen. In diesem Jahr versammeln sich mit Unterstützung des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf und der Internationalen Gartenbauausstellung Rostock Heiratswillige „unter dem Weidenbogen“ in der Blumenhalle. Mit den Zeremonien soll, so heißt es in einer Information, die „enge Verbindung der Stadt Berlin zur Landschaft entlang der Ostseeküste zum Ausdruck gebracht werden“. Ins Guinness-Buch der Rekorde wollen „Europas Spitzenprofis im Timbersports mit einem Weltrekordversuch. Erstmalig treten zwei Mannschaften gegeneinander an, um in kürzester Zeit aus einem maßlich definierten Holzstamm zwei sich frei beweglichen Holzkettenglieder mit der Motorsäge herauszuarbeiten.“ Das Unterfangen organisiert ein Hersteller für – richtig – Motorsägen. Besonders gewiefte Besucher der Messe dürfen nach dem Besuch eines der drei Trainingscamps für das handwerkliche Holzfällen auch an den Wettkämpfen „Stihl Timbersports Series 2003“ teilnehmen. Gott sei Dank ist alles voll ökologisch. Die Motorsägen sind mit einem Katalysator ausgestattet und werden mit, so ein Informationspapier, „umweltfreundlichem Benzin betrieben“.
Für die Gesundheit der Jugendlichen sorgt „Burger King“. Der Konzern verfüttert auf seiner „Bad Candy Burger King Lifestyle Area mit King Rider-Tanzfläche“ seine klein gehackten Rinder. Und damit die Gedärme und Gedanken der Jugendlichen nicht allzu sehr unter den Techno-Musik-berieselten Event- Mahlzeiten leiden, steuert die Krankenkasse BKK Berlin am Nachbarstand tapfer ihr Versicherungsprogramm bei – das Ganze garniert mit einem „BKK- Haferflocken-Muscle-Contest“. Dieser BSE-verdächtige Wettbewerb will herausfinden, ob man mit einer Kaffeemühle oder mit einem Fahrrad eine Portion Haferflocken schneller mahlt. Weitere Teilnehmer in der „Jugend- Eventhalle“ zum offiziellen Thema „Jugend is(s)t aufgeklärt“: Hertha BSC Berlin, RTL 104.6, die Luftwaffe der Bundeswehr, Vita Cola.
Die Grüne Woche ist in die Jahre gekommen und dabei organisatorisch und inhaltlich aus dem Leim gegangen. Sie taugt für ein anspruchsloses Massenpublikum, das nach standardisierten Grundbedürfnissen giert, die auch andernorts zu haben wären. Immerhin gab jeder Messebesucher im letzten Jahr im Durchschnitt 164 Euro unter dem Funkturm aus.
Unter dem Wust von nach Aufmerksamkeit heischenden Innovationen, Sensationen und Rekorden gehen die durchaus vorhandenen qualitativ hochwertigen Veranstaltungen und Themen unter. Wer sich bemüht, findet Informationen zu den wirklich relevanten Zukunftsthemen: die Internationalisierung der Märkte, zunehmend denaturierte Nahrungsmittel, veränderte Ernährungsgewohnheiten, Verbraucherinteressen, Natur- und Umweltschutz. Die Grüne Woche ist im Grunde nur etwas für Goldsucher, die das eine Prozent, das alle suchen, aber kaum einer findet, aussieben. Zur Grundausstattung ernsthaft Schürfender gehört deshalb der dickleibige Katalog.
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