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Fun-Gesellschaft, backstage

Jemandem zusehen, der sich selbst unterhält: Die aus Kampnagel-Auftritten bekannte Performance-Gruppe Gob Squad leuchtet mit „Room Service – Help Me Make it Through the Night“ im InterCity Hotel Altona die Melancholie des Glamour aus

von NIKOLA DURIC

Die Zuschauer sitzen im Konferenzraum eines Hotels. Vor ihnen vier Türme von Fernsehern, auf denen vier Performer zu sehen sind. Sie sind nicht weit weg, verteilt auf vier Hotelzimmer im selben Gebäude. Dies ist die Ausgangssituation des neues Stücks der britisch-deutschen Live-Art-Gruppe Gob Squad, die vor einiger Zeit ihren Hauptsitz von Nottingham nach Berlin verlegt hat. Ihr neuer Abend, oder genauer gesagt ihre neue Nacht Room Service – Help Me Make it Through the Night findet jetzt im IntercityHotel Hamburg am Bahnhof Altona statt.

Langsam verfestigt sich die Ästhetik von Gob Squad zu einer Mischung aus Kunst, Theater und medialer Vermittlung. Ihre neue Arbeit nennt Simon Will, seit drei Jahren festes Mitglied der Gruppe, eine „realtime soap“. Auf die Frage, ob sie nicht auch an Big Brother erinnert, antwortet Will: „Ja natürlich, Big Brother ist in seinen guten Momenten auch Theater. Staged reality is big theatre.“

Im Grunde ist das aktuelle Stück Room Service die Fortsetzung des Gob Squad-Klassikers What are you looking at?. In diesem Stück schlossen sich Gob Squad in eine verspiegelte Glasbox ein. Die Performer konnten nur sich selbst sehen, während die Zuschauer um den Raum herum gingen und verschiedene Formen von Gesellschaftspartys beobachten konnten. Room Service fängt dort an, wo die Party aufhört: Wenn die Protagonisten sich alleine in ihre Hotelzimmer zurückziehen. Mit Blicken in die Kamera im Raum machen dort die Mitglieder von Gob Squad klar, dass sie sich der Beobachtung bewusst sind. Die Zuschauer im Konferenzraum entwickeln sich so von Voyeuren zu Mitspielern. Zuerst beobachten sie die Performer dabei, wie sie mit der plötzlichen Einsamkeit zu kämpfen haben und sie mit Hilfe der Minibar zu bekämpfen versuchen.

Room Service handelt davon, wie es ist, jemandem zuzusehen, der sich selbst unterhält. Wenn die Leere unerträglich wird, greifen die Zimmerbewohner zum Telefon und rufen im Konferenzraum an. Daraus entwickelt sich eine interaktive Ereignisstruktur, die von nun an die ganze Nacht durchzieht. Die Zuschauer werden zu Gesprächspartnern, zu Freunden. Sie feiern den Namenstag eines Performers, stellen Fragen, lassen sich erlogene Geschichten erzählen oder beteiligen sich an Telefonspielen. Biographien werden live erfunden und wieder verworfen.

Wenn der Abend fortgeschritten ist, fangen Gob Squad an, sich umzuziehen, als ob sie erneut in die Nacht hinaus gehen wollten. Sie bleiben aber in ihren Hotelräumen, nerven den Zimmerservice und freuen sich über die Besuche und die Stilberatung der Beobachter.

Gob Squad ist eine der wenigen Gruppen, die tatsächlich „Pop-Theater“ macht. Sie unterlegen nicht einfach klassische Theaterstücke mit zeitgenössischen Charts oder verpflanzen die Handlung in einen Techno-Club. Gob Squad lassen sich vielmehr wirklich auf die Stimmungen und Themen der Gegenwart ein. Dabei beleuchten sie häufig die dunkle Seite des Alltags, nicht den Glamour adrenalingeladener Konzerte und Party-Nächte. Sie untersuchen eher die stillen und traurigen Momente, den Backstage-Raum der glitzernden Welt. Häufig beobachten und zeigen Gob Squad den Moment des Rückzugs, den Augenblick der Erschöpfung. Sie beschreiben die schwindende Kraft, die eine Fit for Fun-Diktatur nach sich zieht. Gob Squad setzen da an, wo der gut gelaunte Zustand der Dauer-Jugend Falten bekommt.

24.-26.+31. Januar sowie 1.+2. Februar, jeweils 22 Uhr, InterCity Hotel Hamburg, Paul-Nevermann-Platz 17/Bahnhof Altona

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