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Die CDU übt Streitkultur

Jahrelang gab es bei der Hamburger CDU keine lebendigen Debatten. Nun wurde auf der CDU-Mitgliederversammlung kontrovers diskutiert – über alles, bis auf das Kraftwerk Moorburg

Von Marco Carini

Sie üben noch. Auf ihrem Landesparteitag versuchte die Hamburger CDU nach der Moorburg-Entscheidung ein Stück innerparteiliche Demokratie zu stemmen, endlich mal wieder beherzt und kontrovers zu diskutieren. Doch Streitkultur will gelernt sein: Die Debatte kann wahlweise mit „sie waren stets bemüht“ oder auch mit „Thema verfehlt“ bewertet werden.

Die Mitgliederversammlung in Wilhelmsburg enttäuschte alle Erwartungen. Wer glaubte, es fände in üblicher Manier keine Debatte statt, lag falsch. Nachdem auf der letzten Landesversammlung der Tagesordnungspunkt „Aussprache“ mangels einer einzigen Wortmeldung ausgefallen war, hatte die CDU-Spitze lange beratschlagt. Die Frage: Wie schaffen wir eine lebendige Diskussionskultur?

Parteifunktionäre wurden beauftragt, die Versammlung vorzubereiten, dafür zu sorgen, dass die Basis munter diskutiert. „Wir müssen allesamt wieder lernen miteinander zu sprechen“, stellte CDU-Fraktionschef Frank Schira ein als Motivation geplantes Armutszeugnis aus. Die Folge: Es wurde ein langer Abend.

Enttäuschte Erwartung Nummer zwei: Wer nun meinte, aufgrund der wiederbelebten Diskussionskultur würde vier Stunden nach Verkündung der Moorburg-Genehmigung heftig über das Kraftwerk gestritten, sah sich wiederum in die Irre geführt. Während sich zeitgleich bei der GAL die Basis heftig über Betriebsauflagen und Klimaschutz fetzte, diskutierte die CDU fröhlich über Radwege und Kleingärten, Aleviten in der Türkei und Sportpolitik. Die Folge: Kopfschütteln unter den Journalisten.

Enttäuschte Erwartung Nummer drei: Wer gedacht hatte, nach der Moorburg-Nullnummer blieben kontroverse Debatten nun doch aus, hatte wieder aufs falsche Pferd gesetzt. Statt über Klimaschutz stritt sich die Basis lieber über Schulpolitik. Angeführt von der 76-jährigen früheren CDU-Bildungsexpertin Ingeborg Knipper verdammten mehrere Redner die von der CDU mitgetragene Schulreform in Bausch und Bogen.

Die CDU drohe, so Knipper, bei der Schulpolitik, „zum Claqueur der GAL“ zu verkommen, was sie „ihren Wählern zumute, sei nicht zu überbieten.“ Die Einführung der sechsjährigen Primarschule könne „nur Murks werden“, sei pädagogisch fragwürdig und organisatorisch chaotisch.“ Claas Weseloh vom Ortsverband Süderelbe forderte gar den „massiven Konflikt“ mit der GAL ein und sah durch die Umstrukturierung „die Gleichmacherei“ kommen und die „Bildungsstandards sinken.“

Nachdem mehrere Redner ins selbe Horn geblasen hatten, sah sich Ole von Beust genötigt, selbst in die Bütt zu steigen und darauf hinzuweisen, dass fast in ganz Europa ein sechsjähriges gemeinsames Lernen obligatorisch sei, und es schon deshalb „kein Teufelszeug“ sein könne.

Die Folge: Hinter den Kulissen sollen die ersten Unions-Politiker noch am Abend darüber nachgedacht haben, ob man diese neue Streitkultur vielleicht doch lieber wieder ein wenig einschränken sollte.

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