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Genauso anders wie alle anderen

Chefredakteur Nikolas Marten hat die Frauenzeitschrift „Allegra“ erneuert und massenkompatibler gemacht

Das erste Heft mit dem Titel „Frauen & Schuhe – der ganz normale Wahnsinn“ hätte ein guter Grund sein können, dem damaligen Chefredakteur Andreas Petzold die Rübe abzureißen. So klischeehaft, so dämlich schien das Frauenbild, das die neue Zeitschrift Allegra aus dem Hause Springer transportierte. Doch dann begann die zerknirschte Beobachterin zu blättern und sah, hier war alles anders: andere Geschichten, andere Optik, andere Frauen. Eine innovative Haltung prägte die Allegra und unterschied sie damit deutlich von den damals Markt beherrschenden und das gängig Frauenbild spiegelnden Blättern Brigitte, Freundin und Für Sie.

Was nun monatlich aus Hamburg kam, war eine neue Form von Journalismus: hedonistisch, Befindlichkeitsjournalismus, wenn man es böse ausdrücken will, persönlich und offen, wenn man es positiv benennt. Die Allegra schaffte es, die Frauen dort abzuholen, wo sie standen. Sie machte sie zu Protagonistinnen ihrer eigenen Geschichte und zeigte so ihre Ängste und Sehnsüchte auf, bildete die Realität ab. Es entstand ein oft kopiertes Profil. Nicht nur die Inhalte, diese andere Art Geschichten anzugehen, die sprachliche Originalität wurde seither von vielen Zeitschriftenmachern übernommen.

Auch das Layout und vor allem die Bildsprache wurde stilbildend und diente vielerorts quasi als Kopiervorlage. Eigenwillig und immer ein wenig außerhalb des Mainstreams schuf sie einen „Allegrastyle“ – und sich selbst eine treue Anhängerschaft. Die Beziehung zwischen Heft und Leserin war so eng, dass nicht mehr klar war, wer hier die Trends abbildete und wer sie schuf.

In ihrer Besonderheit blühte Allegra in der Nische. Nicht konform, nicht anbiedernd genug, um der Masse zu gefallen. Ein Heft, das im Sinne der verlegerischen Geldeintreiber seinen Zweck nicht erfüllte.

Seit Montag ist alles anders. Farbiger das Heft, wilder, bunter, verspielter in seiner Optik, opportunistischer im Inhalt. Im Big-pocket-Format, einem Zwitter aus der Orginalgröße und dem erfolgreichen Kleinformat, mit Promikurzmeldungen im Einstieg und einem Shopping Guide als Serviceelement, wo sonst die Literaturbeilage klebte. Nikolas Marten, ehemaliger Chefredakteur der Amica und von Springer in die Frauenabteilung geholt, um die Titel Bild der Frau, Journal für die Frau und eben Allegra nach vorn zu bringen, hat die knapp achtjährige Dame einer Erneuerung unterzogen.

Seit letztem Jahr bereits wirkte er entscheidend mit, akzentuierte neu und verstand es, solche Themen auf das Titelblatt zu heben, die zum Kauf reizen sollten. Die Zahlen sind deutlich: der Absatz legte im vierten Quartal 2002 im Vergleich zu dem des Vorjahres um 19,4 Prozent zu.

Bereits bei der Verlagsgruppe Milchstraße wurde Marten zusammen mit dem Artdirector Peter Bay als interne Wunderwaffe eingesetzt: Gemeinsam holten sie die Amica aus dem Auflagentief und relaunchten Blätter wie Cinema und TV-Spielfilm. Es ist zu erwarten, dass sie mit dem Konzept von „bunt“ und „obenauf“ die Leserinnen abgreifen, denen die Allegra bislang zu schwerfällig war. Diejenigen, denen Joy zu jung und Glamour zu oberflächlich, die Amica zu prollig und Brigitte zu altbacken finden.

Die Frauen aber, die die Allegra für ihr Understatement liebten, die werden weniger wegen der Schuhe, sondern eher wegen des wuseligen Entertainmentteils, den vielen Typografien, Layout- und Optikelementen des Heftes wahnsinnig werden. Sie werden das Heft als „nicht Fisch nicht Fleisch“ empfinden, dessen Persönlichkeit und das Herzblut seiner Macher vermissen. Sie werden feststellen: Die ist wie alle anderen. SILKE BURMESTER

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