piwik no script img

Europas Sterne sind nah

Die spielerische Mittelmäßigkeit der Liga lässt den schwach gestarteten HSV mit dem heutigen Rückrundenstart gegen Hannover 96 auf einen Platz im europäischen Wettbewerb schielen

von OKE GÖTTLICH

Der HSV und Europa. Eine Verbindung, die in den vergangenen zwei Jahren häufig ein ironisches Grinsen auf viele Gesichter zauberte. Zu nah schien der mögliche Absturz in die erstmalige Zweitklassigkeit, als dass sich im Volkspark jemand über einen europäischen Pokalwettbewerb Gedanken machte. Unter den ehemaligen Funktionären Werner Hackmann und Holger Hieronymus tat man es trotzdem, obwohl sie sich aufgrund der eingekauften Heterogenität innerhalb ihres Themas später dabei ertappten, dass ihre Vorstellungen mindestens maßlos erschienen.

Motor unter Dampf

Viele Anhänger des HSV staunten daher nicht schlecht, als die sportliche Leitung um den neuen Sportchef Dietmar Beiersdorfer und Trainer Kurt Jara in der Winterpause ganz offiziell erneut das Ziel UEFA-Cup ausgaben. Derzeit steht der HSV auf dem siebten Tabellenplatz mit zwei Punkten Rückstand auf den zur Teilnahme am UEFA-Cup berechtigenden fünften Rang. „Wir müssen den Motor unter Dampf setzen“, erklärte Jara kürzlich interessierten Fans auf einer HSV-Versammlung der Abteilung Fördernder Mitglieder. Was in vergangenen Zeiten als fadenscheiniger Spagat zwischen Realität und Anspruch galt, will vor allem Allround-Liebling Dietmar Beiersdorfer künftig vermeiden. „Wir müssen doch Ziele ausgeben an denen wir uns orientieren, die aber keineswegs vermessen sind. Es ist ja nicht so, dass wir auf einmal zu den Sternen greifen“, sagt Beiersdorfer.

Neuerdings werden beim HSV viele Themen analytisch behandelt. So auch die Vision europäischer Wettbewerb. Für Jara wie Beiersdorfer erklärt sich der optimistische Ansatz aus einer Vielzahl von Faktoren. „Wir haben in der Rückrunde ein Heimspiel mehr und außerdem alle UEFA-Cup-Konkurrenten zu Hause“, weiß Jara, während Beiersdorfer ergänzt: „Beobachtet man die Liga, sind lediglich ein bis drei Mannschaften wirklich qualitativ hochwertiger besetzt.“

Injizierter Mut

Selbstbewusste Formulierungen, die als Erklärung für die vermeintlich neue Stärke des HSV dienlich sein können. Es war Beiersdorfer, der mit Beginn seiner Tätigkeit von den Spielern ein mutigeres Auftreten in Zweikämpfen und 1:1-Situationen einforderte. Mit kleinen Veränderungen an dem verkrusteten Saurier der Fußball-Bundesliga schaffte Beiersdorfer ein neues Vertrauensverhältnis zum Team, von dem auch Kurt Jara profitierte. Er ließ jungen Spielern Zeit ihre Stärken zu entwickeln und ihren Weg wie Colin Benjamin und Marcel Maltritz ins Team zu finden. Der Coach verpasste dem Team ein modernes Spielsystem mit einer Viererkette, zwei defensiv orientierten Mittelfeldspielern, zwei Außenbahnspielern, einem zentralen Mittelfeldmann und einem Stürmer.

Im Taka-Tore-Land

Dass dieser gleich von Beginn der Rückrunde an Naohiro Takahara heißt, ist durch den Ausfall von Bernardo Romeo wahrscheinlich. Eine Entscheidung, die beim HSV geteilte Meinungen hervorruft. Während einige den Einsatz des Japaners aufgrund der fehlenden Bindung zum Team und dem ungeheuren Erwartungsdruck seiner Landsleute noch für verfrüht halten, glaubt Jara, „dass sich Taka gar nicht früh genug an die Bundesliga gewöhnen kann“. Beobachtet man den seit Wochen anhaltenden Medienrummel um den Japaner beschleicht Beiersdorfer das Gefühl, „ihm lastet die gesamte japanische Nation auf dem Rücken“.

Eine Belastung, die den Fans weniger zusetzte, als die kommende Installation der AOL-Großbuchstaben auf dem Dach des HSV-Stadions. Viele Traditionalisten beunruhigt der Gedanke, dass von der Autobahn aus betrachtet nur die Buchstaben des Sponsors sichtbar sein werden, während der HSV auf diese effekthaschende Werbemaßnahme aus Kostengründen verzichten muss. „Die Raute auf dem Dach ist schwierig zu realisieren“, berichtete Dietmar Beiersdorfer, der durch die jüngsten imagestiftenden Maßnahmen auf dem Trainingsgelände weitere Sympathien der Fans gewinnen konnte. Reinhard Geise vom HSV-Vermarkter Sportfive erklärte, dass die Buchstaben vom Sponsor finanziert wurden, die Installation weiterer Insignien „einige hundertausend Euro“ kosten würden, die man wohl lieber in den sportlichen Bereich investieren würde.

Am Ende der Veranstaltung überwog dennoch Lob vor allem für Beiersdorfer. Es scheint aufwärts zu gehen mit dem HSV.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen