: Bitte etwas mehr Dynamik!
Was sind das für Typen, die sich „Someone Still Loves You Boris Yeltsin“ nennen? Zu sehen waren sie im Magnet Club: Collegetypen, die Collegemusik machen
Boris Jelzin ist tot. Nicht, dass das eine brandneue Nachricht wäre. Boris Jelzin starb vielmehr schon im letzten Jahr, genau am 23. April 2007. Gedacht wird des volksnahen ersten Präsidenten der russischen Republik, der allerdings auch als jähzorniger Trunkenbold durch die Nachrichten geisterte und es liebte, im richtigen wie im falschen Moment sich auf einen Panzer zu setzen, aber nicht nur in Moskau, sondern auch im US-amerikanischen Springfield. Und das schon zu Lebzeiten, seit 2004.
Damals haben sich Someone Still Loves You Boris Yeltsin gegründet, ein Quartett aus Missouri. Zur Beerdigung wurden sie trotzdem nicht eingeladen, was nicht daran lag, dass ihre Musik keinen Respekt ausstrahlte, allzu schlecht wäre oder sie Musik als Protestform begriffen. Nein, die Politkaste dürfte von dieser Band einfach noch nie gehört haben.
In Berlin kennt man Someone Still Loves You Boris Yeltsin oder kurz SSLYBY auch nur in gut unterrichteten Kreisen. Am Tag nach dem Tag der Deutschen Einheit spielten sie im Magnet Club an der Greifswalder, voll war es nicht.
Die Musik, die SSLYBY machen, sieht man ihnen auf zwanzig Meter Entfernung schon an: Die vier um Sänger John Robert Cardwell wirken belesen und nerdig, gut informierte Informatikstudenten der Sorte cool. Cardwell trägt Kurzhaarschnitt mit Brille, die ihm auf die Nasenspitze rutscht, dazu Herrenhemd mit unpassendem T-Shirt darunter, Bassist Jonathan James ein Holzfällerhemd. Einzig Will Knauer, Gitarre, will nicht ins Bild passen: Seine verwaschenen Haare sind schlecht gefärbt und schulterlang. Vermutlich ist er es, der versucht, Cardwell und Zweitleader Philip Dickey, der zunächst hinter der Schießbude sitzt, mit Platten von Mudhoney zu kommen.
SSLYBY machen Studentenmusik. US-amerikanisch, durchaus fetzig und in guter Tradition von Buddy Holly über die Byrds bis hin zu den Lemonheads. SSLYBY spielen mit zwei klaren, unverzehrten Gitarren trickreiche Harmonielinien in gutem Tempo. Mit einigen Varianten und Breaks. Merkwürdig ist nur, dass Geekbands wie SSLYBY stets darunter leiden, bei aller Kompliziertheit ihrer Musik schnell berechenbar zu sein. Und dass der Sänger selten eine gute, umfangreiche Stimme hat. Das war schon bei Stephen Malkmus von Pavement so. Das ist bei Cardwell leider auch nicht anders.
Trotzdem: Die Musik ist nett, die Musik schwingt, man möchte gleich selbst wieder zurück an den Kaffeeautomaten der PhilFak, um die verehrte Kommilitonin aus dem Existenzialismus-Seminar zu einer Autofahrt, einer Picknickdecke oder einem Abend im Programmkino zu überreden. Wie gesagt: Das ist alles nicht das Schlechteste, auf Dauer aber etwas öde.
So wünscht man SSLYBY, dass sie sich mehr auf die groovigen Parts verließen, die sie auch haben. Dass sie sich Verzerrgeräte zulegen mögen, um etwas Dynamik in die Sache zu bringen. Und dass sie in der Erstbesetzung bleiben – Cardwell hat mehr Ausstrahlung als Dickey, der ab Minute 28 vom Schlagzeuger zum Leadsänger wechselte. Was sonst kaum etwas änderte.
Ihre neue Platte heißt übrigens „Pershing“. Darauf einen Wodka Gorbatschow im Gedenken an den Untergang der UdSSR. SSLYBY werden weiter eher kleine Kreise ziehen, ihr Angebot an T-Shirts ist beachtlich. Immerhin haben sie dazu angeregt, mal wieder das großartige blaue Album von Weezer aufzulegen. War schon gut damals, die Zeit an der Uni. RENÉ HAMANN
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