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Ruf nach Berlin: In einer Buchvorstellung, in Diskussionen und DJ- und Live-Sets präsentiert die Transmediale für Medienkunst unter dem Titel „Go East“ elektronische Musik aus Osteuropa

Akademien und Underground interessieren sich füreinanderWeltweit operierende Kontrollmedien werden ins Visier genommen

von CHRISTOPH BRAUN

Lange Zeit tröpfelte es nur. Irgendwo tauchte mal ein Lazyfish auf, irgendwo ein Jacek Sienkiwicz. Gemessen an seiner geografischen Größe war es nicht eben viel, was an elektronischer Musik aus Osteuropa in Berlin oder noch weiter westlich ankam. Erst im letzten Jahr schließlich wurde das Tröpfeln zum Rinnsal. Der große, unabhängige Vertrieb Efa bringt jetzt Produkte des slowenischen Techno-Labels Tehnika in deutsche Plattenläden. Die aus Russland stammenden Lazyfish and Mewark erwiesen sich mit einer Platte auf K2O als Meister der generativen Musiksoftware Reaktor. Damit schicken sie sich an, die Grundlagen der Klangforschung entscheidend zu verändern.

Und nun folgt gleich eine kleine Welle. Unter dem Titel „Go East“ hat die Transmediale etwa 25 Künstlerinnen und Künstler aus dem Osten des Kontinents eingeladen. Die Kuratoren des Programms hielten nach Leuten Ausschau, die schon lange elektronische Musik produzieren. Mit dem Ruf nach Berlin, so erhoffen sie sich, werden es die Labelbetreiber und Produzentinnen einfacher haben, westeuropäische Vertriebe zu finden und ins internationale Veranstaltungscircuit einzusteigen.

„Der Zugang zu den Veranstaltungen im Westen ist schwierig, und CD-R-Labels schaffen es allein schon durch ihr Tonträgerformat nicht in die Plattenläden“, skizziert Susanna Niedermayr einige der Steine im Weg nach Westen. Die in Wien lebende Radiojournalistin stellt heute Abend ihre Publikation „Im Osten“ vor. Das Buch mit dem Untertitel „Neue Musik Territorien in Europa“, das dieser Tage erscheint, ist nach mehreren Recherchereisen entstanden. Gemeinsam mit ihrem ORF-Kollegen Christian Scheib hat Susanna Niedermayr zwischen Winter 2001 und Sommer 2002 sechs Länder Osteuropas bereist und sich dort nach „neuer E-Musik, Improvisation, elektronischer Musik, Club-Musik und allem dazwischen“ umgesehen. „Längst ist es ja auch im Osten Europas so, dass sich Akademie und Underground füreinander interessieren“, erklärt Susanna Niedermayr.

Ein Beispiel: Das polnische CD-R-Label Mik.Musik. Das Kleinstunternehmen in Kattowitz veröffentlicht die ins Minimale mutierten Geräuschaufnahmen der Gruppe EA ebenso wie die Happeningmusik von Molr Drammaz, denen auch der Labelmacher Wojt3k Kucharczyk selbst angehört. Seine Gruppe arbeitet in der „Kattowicer Zweigstelle der Akademie der Schönen Künste in Krakau“.

Das Autorenduo Susanna Niedermayr und Christian Scheib vermeidet jegliche romantisierende Vereinheitlichung Osteuropas. Schon im Vorwort betonen sie: „Ein Osteuropa ist nicht zu finden“. Polen etwa blickt auf eine breit gefächerte Jazz-Szene zurück, worin auch einer der Gründe für den momentanen HipHop-Hype im Land liegt. Eher akademisch orientierte Zusammenhänge hatten auch während des Eisernen Vorhangs ein Fenster nach Westen, das galt besonders für das Festival für zeitgenössische Musik „Warschauer Herbst“. Seit 1956 wurden hier Komponisten wie Cage und Stockhausen präsentiert.

Natürlich hängen die technischen Möglichkeiten, elektronische Musik zu produzieren, auch mit dem Wohlstand in den verschiedenen osteuropäischen Ländern zusammen. Während Susanna Niedermayr, wie sie erzählt, im ärmeren Bulgarien auf viel mehr Interesse an Mystik als am westeuropäischen Konzept experimenteller Musik gestoßen ist, lässt sich die elektronische Musikszene in reicheren Ländern wie der Slowakei, Tschechien und vor allem Slowenien viel eher mit der in westlichen Ländern vergleichen. Hier entscheidet nicht zuletzt, wie viele Menschen sich den Zugang zum Internet leisten können. „Das Internet standardisiert den Fluss von Informationen und Vorstellungen von Kreativität“, sagt Susanna Niedermayr.

Die am Sonntag performenden Signal Territories aus Slowenien zum Beispiel könnten ebenso aus Deutschland, England oder Frankreich kommen. Sie nehmen weltweit operierende Kontrollmedien ins Visier, sammeln Audiodaten aus Satelliten- und weiteren Telekommunikationssignalen, die üblicherweise staatlich oder privat monopolisiert sind. Das künstlerische Weiterprozessieren entreißt diese Daten ihren kontrollierenden Funktionen und setzt sie frei – eine klassische Strategie der Aneignung, der Piraterie, der Infragestellung von Macht, wie man sie auch von hier kennt.

Club Transmediale, bis 8.2. im Maria am Ufer, Schillingbrücke, Friedrichshain. Heute, 21 Uhr, stellt Susanna Niedermayr dort ihr Buch vor (Pfau Verlag, Saarbrücken 2003, 220 S., 20 €), am Sonntag, den 2.2., 23 Uhr, Signal Territories

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