: Wohnen unter Wasserkante
Allen Flutschäden zum Trotz: SPD und CDU stimmen für Wohngebiet im Hochwasserpolder. „Eine Gefahr für den ganzen Raum“, sagt der BUND. Ein Bremer Rechtsanwalt meint: Bei Hochwasser sind Gemeinden schadensersatzpflichtig
taz ■ 400 neue Einfamilienhäuser, und das mitten im Überschwemmungsgebiet – morgen will der Bremer Senat sein Ja zum Brokhuchtinger „Ochtum-Park“ geben. 1.500 Meter zusätzlicher Deich sollen das Wohngebiet nördlich der Eisenbahnlinie nach Delmenhorst vor den Fluten schützen, 12 der 35 Hektar sind sogar extra als Hochwasserschutzgebiet ausgewiesen. „Bremer bauen in Bremen“, heißt das Programm, das Einwohner und Steuern im Stadtstaat halten soll. Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen. „Wer Baugebiete im Überschwemmungsgebiet ausweist, macht sich schadensersatzpflichtig“, sagt der Bremer Rechtsanwalt Guido Plaisier. Die Planer seien verpflichtet, vor der Aufstellung eines Bebauungsplanes mögliche Gefahren in dem Gebiet zu prüfen.
Nachdem die Flut in Ostdeutschland Tausende von Gebäuden unbrauchbar gemacht hatte, nahm Plaisier im Auftrag des Bundesverbands der Verbraucherzentralen e. V. die Rechtslage unter die Lupe. Sein Fazit: Wissen PolitikerInnen von der Hochwassergefahr in einem Gebiet und lassen trotzdem zu, dass dort Häuser gebaut werden, verletzten sie ihre Amtspflicht. Zerstören die Wassermassen dann die Häuser, muss die Gemeinde den EigentümerInnen neue bauen – und zwar normalerweise außerhalb der flutgefährdeten Gebiete. Das Land Sachsen, sagt Plaisier, schließe inzwischen Vergleiche mit den Flut-Geschädigten, um weitergehende Forderungen zu vermeiden.
Bis auf 4,30 Meter über Normalnull kann das Wasser auf den Wiesen links und rechts der Ochtum nach offiziellen Berechnungen steigen, wenn das Sperrwerk Richtung Weser wegen Sturmflut drei Tiden lang geschlossen bleiben muss. Das geplante Wohngebiet liegt etwa drei Meter hoch. „Eindeichung erforderlich“, befand die Baudeputation.
Dass die neu eingedeichte Fläche anschließend dem Hochwasser als Ausweichraum fehlt, störte die Baudeputierten von SPD und CDU nicht. „Das hat mich ein wenig gewundert“, sagt Rechtsanwalt Plaisier.
„Das Baugebiet hat keinen entscheidenden Einfluss auf das Hochwassergebiet“, sagt Holger Bruns, der Sprecher von Bausenatorin Christine Wischer (SPD). Der Wasserspiegel vor dem Deich werde „nur unwesentlich“ steigen. „In diesem Einzelfall unkritisch“, urteilt auch Rainer Suckau, Geschäftsführer beim Deichverband Links der Weser.
„Das Problem liegt in der Häufung von Einzelfällen“, kritisiert dagegen BUND-Geschäftsführer Martin Rode. Keine zwei Kilometer entfernt etwa, in Grolland, sollen ebenfalls in der Ochtum-Niederung Wohnhäuser entstehen, Bauern in Oberneuland fordern bereits, ihre Wiesen besser vor dem Wasser zu schützen. Auch die Pauliner Marsch und der Stadtwerder, fürchtet Rode, könnten irgendwann weiter bebaut werden – „mit genau der gleichen Argumentation.“
Rode stellt zudem die offiziellen Hochwasserberechnungen selbst in Frage. Weder der steigende Meeresspiegel noch die in letzter Zeit immer häufiger auftretenden starken Niederschläge seien darin berücksichtigt. Rode: „Das ist fahrlässig.“
Unterstützung erhalten die Naturschützer auch von anderer Seite: Die Bremer Architektenkammer „bedauert nachdrücklich, dass diese Planung weiter betrieben wird“; die Grünen zogen schon 1998 über das Gelände. Auf ihren Plakaten stand: „Lieber Wasser auf den Wiesen, als auf Ihren Teppichfliesen.“ Gegen den „Ochtum-Park“ stimmten auch der Beirat Huchting und die Gemeinde Delmenhorst. „Aus der Jahrhundertflut an der Elbe lernen“, fordert die Grünen-Baudeputierte Karin Krusche.
Selbst wenn die Deiche halten und das Neubaugebiet im Polder trocken bleibt – Projekte wie der „Ochtum-Park“ stellten eine Gefahr für den ganzen Raum links der Weser dar, betont BUND-Mann Rode. Delmenhorst und Stuhr, beide auf die Flut-Räume an der Ochtum angewiesen, standen 1998 bereits unter Wasser. In diesem Jahr war es knapp davor.
Armin Simon
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