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Wo der Weltstar Schrauben klaute

Der Komponist und Bigband-Leader Bert Kaempfert schrieb Hits wie „Strangers in the Night“. Heute wäre Kaempfert, der 1980 verstarb, 85 Jahre geworden. Gut passt, dass Hamburg dem gebürtigen Barmbeker nun einen Platz widmet. Auch wenn der größtenteils zugeparkt ist

Von Kaempferts Erfolg hatte seine Nachbarin aus dem Radio erfahren. „Mensch Berthold, habe ich da gedacht. Das kann ja wohl nicht angehen.“

VON FLORIAN ZINNECKER

Ganz in der Nähe hat Bert Kaempfert früher Schrauben geklaut. „Am Osterbek-Kanal gab es einen Schrotthändler“, erzählt Kaempferts Tochter Marion. „Über den Zaun sind mein Vater und seine Freunde gerne mal in den Hinterhof gestiegen und haben ein paar Schrauben eingesteckt.“ Und sie dem Händler anschließend vorne im Laden verkauft. „Davon hat mein Vater immer erzählt, wenn er von zu Hause gesprochen hat.“ Zu Hause – das war für Bert Kaempfert Hamburg. Genauer: Hamburg-Barmbek.

An den Schrauben liegt es nicht allein, dass der Platz zwischen Wiesendamm, Fuhlsbütteler Straße und Osterbekweg seit gestern Bert-Kaempfert-Platz heißt. Sondern auch daran, dass Kaempfert später – neben etwa 400 anderen Titeln – die Hits „Strangers in the Night“ und „Moon River“ schrieb, rund 750 Titel arrangierte, allein zu Lebzeiten 150 Millionen Platten verkauft haben soll und nebenbei noch die Beatles entdeckte. „Ein Künstler von internationalem Ruf“, befand Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck in ihrer Laudatio, „der eine eigene Kulturgattung von Weltgeltung etabliert hat.“ Gemeint hat von Welck damit wohl das musikalische Fach „Easy Listening“. Wäre Bert Kaempfert nicht im Juni 1980 mit 56 Jahren gestorben, würde er heute 85 Jahre alt werden.

Die Stadt Hamburg gratulierte schon am Mittwoch. Das Geschenk: ein Straßenschild – als Symbol für die Widmung des bislang namenlosen Platzes, vis-à-vis zum dringend renovierungsbedürftigen Bahnhof, in großen Teilen zugeparkt. Ja, optisch müsse man durchaus noch was tun, heißt es immer wieder im Laufe des Festakts. Eines Tages werde hier etwas ganz Tolles entstehen, der Platz werde der zentrale Platz Barmbeks, gepflegt, ansehnlich, mit Flair. Nur eben jetzt noch nicht.

Mit seinen Eltern wohnte Kaempfert in der Adlerstraße, Haus Nummer 12. „Er wohnte parterre“, erinnert sich Ursula Ahrens, „und wir eine Etage darüber. Von 1934 an: er war damals elf Jahre alt, ich war ein Jahr jünger.“ Und weil in der Wohnung in der ersten Etage ein Klavier stand und Bert Kaempfert Ursula Ahrens und ihre beiden älteren Schwestern üben hörte, habe er gefragt, ob er nicht auch mal spielen dürfe. Im Krieg verloren sich die beiden aus den Augen, später, erzählt Ahrens, wohnten sie noch einmal in demselben Block. „Da hab‘ ich ihn im Treppenhaus getroffen, er hatte einen Kinderwagen dabei.“ Vom Erfolg ihres Nachbarn habe sie aus dem Radio erfahren – als er schon längst anderswo wohnte. „Mensch Berthold, habe ich da gedacht. Das kann ja wohl nicht angehen.“

Kaempfert studierte an der Hamburger Musikhochschule, verdiente sich seine ersten Sporen im Danziger Radioorchester. Seine erste eigene Bigband gründete er in dänischer Gefangenschaft. Für Elvis Presley arrangierte er das Volkslied „Muss I denn, muss I denn“, für Freddy Quinn schrieb er „Die Gitarre und das Meer“. Als er Ende der 50er Jahre mit dem Instrumentalstück „Wunderland bei Nacht“ bei keiner deutschen Plattenfirma landen konnte, flog er mit einer Propellermaschine nach New York. Im Gepäck: unzählige Tonbänder und Arrangements – und „Wonderland by night“, das der erste Nummer-Eins-Erfolg eines Deutschen in den USA wurde. Später arbeitete Kaempfert mit Frank Sinatra, mit Al Martino und auch mit Hildegard Knef.

„Mein Vater konnte nicht mehr unerkannt über die Straße gehen“, sagt Tochter Doris, die sich heute um die Vermarktung des musikalischen Erbes ihres Vaters kümmert. „Und immer, wenn er in den USA nach seiner Herkunft gefragt wurde, sagte er: Hamburg-Barmbek.“ Zur Feier des Tages wurde das Hamburger Polizeiorchester angeheuert, den Festakt mit „Strangers in the Night“ und „Africaan Beat“ zu umrahmen.

Kaempfert selbst zog irgendwann in die Schweiz, war beruflich sehr viel unterwegs. Am 21. Juni 1980 starb er auf Mallorca an einem Schlaganfall.

„Ich bemühe mich bestimmt schon seit 15 Jahren darum, dass die Stadt Hamburg meinem Vater die ihm gebührende Ehre erweist“, sagt Kaempfert. „Alle haben eigentlich immer gesagt: Oh ja, das ist schön. Aber im Grunde genommen ist nie etwas passiert.“ Auch deshalb, weil die Zuständigkeiten immer wieder wechselten: „Es gab mal eine Behörde für Stadtentwicklung, dann wieder eine Behörde für Bauwesen – und ehe ich nachhaken konnte, war wieder jemand anders zuständig. So läpperte es sich dahin.“

Ins Rollen kam der Stein letztlich mit dem Engagement des Norddeutschen Rundfunks. „Das Landesfunkhaus Nord ist an mich herangetreten und hat gesagt, das muss doch jetzt mal losgehen“, sagt Kaempfert. Ein Jahr habe es dann noch gedauert – bis zum gestrigen Mittwoch. Und dass der Bert-Kaempfert-Platz, bei Licht betrachtet, ein Parkplatz vor dem Museum der Arbeit ist – daran könne man ja noch arbeiten.

„Es ist doch schön“, sagt Doris Kaempfert, „dass man nicht eine Straße oder einen Platz in einem Neubaugebiet irgendwo in Billbrook ausgewählt hat.“ Außerdem habe sich Barmbek sehr herausgeputzt in den letzten Jahren. „Da ist einiges passiert. Und da wird auch noch einiges passieren.“ An und für sich könne der Platz auch gerne ein Parkplatz bleiben, sagt Kaempfert. „Aber das spricht ja nicht dagegen, ihn vielleicht doch ein bisschen attraktiver zu gestalten.“ Vielleicht könne der Name auch Anlass sein, ein- bis zweimal im Jahr ein Konzert, ein Open-Air oder eine andersartige Veranstaltung anzusetzen. Der Wochenmarkt findet dort jetzt schon statt.

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