Alternativen zur Heimunterbringung gesucht

Kritik an Zuständen in Pflegeheimen wächst. Trotzdem es ist schwer, das Thema im Bundestag auf die Agenda zu setzen

BERLIN taz ■ „Ein Heim ist etwas, das keiner will.“ Der SPD-Abgeordnete Wolfgang Wodarg macht sich derzeit für eine Enquêtekommission des Bundestages stark, die sich damit beschäftigen soll, „Alternativen zur Heimunterbringung“ zu suchen, und zwar für alte, behinderte und psychisch kranke Menschen. Eine solche Kommission durchzusetzen wird nicht einfach.

Anlässe gibt es allerdings genug. So zeigten Qualitätsüberprüfungen in 150 niedersächsischen Heimen bei rund einem Drittel erhebliche Mängel im Umgang mit Patienten. Nicht nur Percy MacLean, früherer Leiter des Instituts für Menschenrechte in Berlin, fordert: „Die Politik muss dafür sorgen, dass hier menschenwürdige Standards geschaffen werden.“ Er verweist darauf, dass die UNO mehrfach die Mängel in deutschen Heimen gerügt habe, etwa die zu geringe Zahl des Pflegepersonals.

Für den Politiker Wodarg ist klar: „Ein Heim kann die individuellen Bedürfnisse seiner Bewohner nicht ausreichend erfüllen.“ Bei der Lösungssuche sollte deshalb die Formel „ambulant vor stationär“ gelten. Ein Drittel der deutschen Heimbewohner könnte bereits jetzt ambulant versorgt werden, schätzt Klaus Dörner von der Bielefelder Forschungsarbeitsgemeinschaft „Menschen in Heimen“.

In Dänemark stellte man nach einem Modellversuch in den 80er-Jahren sogar komplett auf eine ambulante Betreuung alter und pflegebedürftiger Menschen um. Das Ergebnis sei eine „billigere und bessere“ Versorgung, sagte jüngst die Pflegewissenschaftlerin Liz Wagner bei einem Kongress in Berlin. „Die Pflegebedürftigen sind gesünder, müssen beispielsweise weniger lange im Krankenhaus bleiben“, so Wagner.

Thema einer Heim-Enquêtekommission könnte auch die Rehabilitation von Behinderten sein. „Bisher läuft diese nach der Devise ‚Jedem das Gleiche‘“, kritisiert die Dortmunder Rehabilitationswissenschaftlerin Regina Wacker. Das heißt: Die Betroffenen bekommen von den Leistungsanbietern wie etwa den Diakonie-Einrichtungen ein fertig geschnürtes Paket – vom Sportangebot bis zur Verpflegung. Wacker spricht sich stattdessen für ein in den Niederlanden eingeführtes Modell aus: mehr Selbstständigkeit für die Behinderten – durch persönliche Budgets, über die sie verfügen können. Zwei Ziele ließen sich hier verbinden: mehr Wirtschaftlichkeit in den Einrichtungen und eine höhere Zufriedenheit der Behinderten. „So können Behinderte etwa entscheiden, ob sie lieber die Fenster geputzt haben, ein Fußball-Spiel besuchen oder ein Luxus-Menü haben möchten.“ Wacker betont: „Ich bin nicht für die Abschaffung von Heimen, sondern dafür, dass sie gefordert werden.“

Ob und wie das Thema auf die politische Agenda kommt, ist noch unklar. Insgesamt drei Enquêtekommissionen sind nach Wodargs Ansicht für diese Legislaturperiode realistisch. „Eine Kommission setzt sich aus bis zu 60 Parlamentariern zusammen, beschäftigt also jeweils zirka 10 Prozent des Bundestages.“ Das heißt: zusätzlicher Arbeitsaufwand – weshalb man eine Art Rangliste aufstellt. Wodarg: „Schon beschlossen ist die Einsetzung einer Bio-Ethik-Kommission, bereits angedacht sind zwei weitere Kommissionen zur Kultur und zur Bildung.“ Die Heim-Enquête liegt dann nach seiner Einschätzung erst auf „Platz vier“.

Obwohl: Auch die Grünen würden eine Heim-Enquête „sehr begrüßen“, wie Petra Selg, Mitglied im Gesundheitsausschuss, betont. „Allerdings habe ich mich dafür eingesetzt, den Heim- und Pflegebereich dabei zusammen zu betrachten.“ Die FDP-Bundestagsfraktion sprach sich Ende Januar für die Einrichtung einer Kommission aus, die sich vor allem mit der „Zukunft der Pflege“ befassen soll. Dies sei angesichts eines zu erwartenden Lochs von bis zu 500 Millionen Euro in der Pflegekasse „dringend erforderlich“, sagte der FDP-Abgeordnete Daniel Bahr. Die Kommission soll unter anderem das „Verhältnis von ambulanter zur stationären Pflege“ untersuchen. Die SPD-Fraktion wollte gestern beraten.

Ein vielstimmiges Konzert ist also derzeit in Sachen Heim und Pflege zu hören. Was aber sagt die Bundesregierung? Immerhin wurde das Ziel einer „humanen Pflege“ im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Zunächst spielt man den Ball an den Bundestag zurück: „Die Heim-Enquête ist Sache des Parlaments“, meinen unisono die beiden beteiligten Ministerien. Ansonsten teilte eine Sprecherin des Bundesseniorenministeriums der taz mit: „Wir haben im Heimbereich bereits einige Verbesserungen auf den Weg gebracht – etwa durch die gesetzliche Festlegung von Mindeststandards – und wollen das auch weiterhin tun.“ Das für den Bereich Pflege zuständige Gesundheitsministerium teilte eher vage mit, dass „Qualität und Transparenz verbessert werden müssen“. DIETER GLÄSENER