: Eine Art Flucht
„Portishead“-Sängerin Beth Gibbons hat die Schönheit des TripHop in schwelgerische Popmusik gegossen. Wer Karten hat, kann das heute im Delphi Showpalast genießen
von VOLKER PESCHEL
Viele Musikrichtungen wurden bereits totgesagt, TripHop ist es definitiv. Mehr als genüsslich wird seine Hinrichtung momentan am neuen Massive Attack-Album 100th Window zelebriert, selten waren sich Kritiker so einig, jeder Artikel reißt sich darum, noch vernichtender die gähnende Langeweile zu kommentieren, die die Überreste der Band aus Bristol abgeliefert hat, als sie nicht bedachten, dass Waber-Beats und grummelnde Stimmfetzen ihren Charme verloren haben. Weil TripHop als Phänomen funktionierte, als mollige Interpretation von modernen Großstadtwelten daherkam und die zeitliche Grenze überschritt, als Boulevard-TV ihn als Hintergrund für ländliche Familienschicksale verwendete.
Beth Gibbons führte rund um 1994 die andere Seite der damals tonangebenden Zweierspitze aus dem neuen Popmekka Bristol an, die Band Portishead, die mit ihren Konkurrenten Massive Attack um den molligeren, treffenderen Soundtrack der schwermütigen Neunziger rang, wie einst die Weltmächte um die erste Landung auf dem Mond. Spannend also, dass Frau Gibbons parallel zu den Wiederbelebungsversuchen des Massive Attack-Reste-Verwesers Robert Del Naja eine andere Interpretation von Zukunft anbietet. Seit etwa fünf Jahren brütet sie mit dem Musiker Rustin‘ Man, der einst Paul Webb hieß und Bass bei den großen Achtziger-Poppern Talk Talk spielte, über neuen Songs.
Für beide muss es eine Art Fluchtgedanke gewesen sein, nur so lässt sich das aktuelle Album erklären. Sie erlebte die beschriebene Sackgasse Fahrstuhl-Musik. Bei Rustin‘ Man liegt die Endstation weiter zurück, als er miterleben musste, wie sich seine Band nach Pophymnen wie „It‘s A Shame“ in auswuchernden Arrangements verlor – bis diese unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Also fanden sie zusammen, um kleine, reduzierte Poplieder zu komponieren.
In Kontakt standen die melancholischen Seelen bereits Anfang der Neunziger. Beth Gibbons hatte vorgesungen für eine neue Band von Paul Webb. Damals kam es nicht zur Zusammenarbeit, doch als beide von allen Bandverpflichtungen befreit waren – das letzte Portishead-Album erschien 1997 – verkrochen sie sich gemeinsam in ihren Landhäusern im britischen Devon und Essex, um isoliert von Zeit und Raum zu komponieren. Out Of Season nennt sich das Produkt, das nach geruhsamen Jahren nun veröffentlicht ist, ein Stimmungsbild im Wechsel der Jahreszeiten: „The feeling of being out of season and out of step with the times“, beschreibt es Beth Gibbons.
Das Album besticht mit einfach komponiertem, oft im positiven Sinne banalen Songwriter-Pop. Die ganze Welt der Beats und Loops gibt es nicht mehr, dafür ehrliche Instrumente: Klavier, Gitarre, die Streicher als Ersatz für sphärische Elektroteppiche. Dem Zeitlupentempo von einst bleibt Gibbons treu, den exquisiten Melodien selbstredend auch. In ihren Texten sinniert sie über Lover wie „Tom The Model“ oder erkennt als mittlerweile 38-Jährige in „Resolve“, dass wir älter werden. Zeitlos schön, so der selbst auferlegte Anspruch von Rustin‘ Man: „Die Arrangements auf dem Album hätten auch in den Vierzigern gespielt werden können und hätten sicher ganz ähnlich geklungen.“
Aber keine Sorge, die blasse Beth Gibbons leidet dazu auch weiter öffentlich, sie, die sich jeglichem Interview verweigert, weil sie nichts zu sagen habe. Doch sie singt: „You don‘t ever have to worry ‘bout me.“ Momentan bastelt Beth Gibbons weiter an einem Portishead-Album, Kontakt zu Geoff Barrow besteht wieder. Bis dahin lädt sie ein, den erdigen Ausflug von Out Of Season zu genießen.
heute, 20 Uhr, Delphi Showpalast, Eimsbüttler Chaussee (Achtung: Das Konzert ist ausverkauft)
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