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Sanfter Mensch, hart im Kampf

von HEIDE PLATEN

Ein ehemaliger Grünen-Politiker sei am Donnerstagabend in Stuttgart gestorben, hieß es gestern in den ersten Meldungen über den Krebstod von Willi Hoss. Grünen-Politiker? Diese Bezeichnung greift wohl etwas kurz. Um das volle, manchmal überfüllte, aktive Leben des Willi Hoss zu leben, müsste mancher von uns wohl 100 und nicht nur 73 Jahre alt werden und dabei wach und weise bleiben. Der Weg des Landarbeitersohns zu einer brasilianischen Honorarprofessur war so weit, dass er ihn nur mit Siebenmeilenstiefeln durchschreiten konnte. Willi Hoss begann und beendete sein politisches Leben als Linker. Er steht damit auch für die persönlichen und politischen Veränderungen, denen alle die ausgesetzt waren, die sich treu bleiben wollten und dennoch wandeln mussten, wenn sie nicht stagnieren wollten. Hoss hat das mit allen Widersprüchen durchlebt und durchlitten und wohl auch genossen.

Willi Hoss wurde am 27. April 1929 im niederländischen Vaals geboren. Sein Vater war Deutscher, die Mutter Holländerin. 1937 siedelte die Familie nach Deutschland über. Sohn Willi war begeistert von dem Diktator Adolf Hitler. Die Pubertät und die Niederlage der deutschen Armee in Stalingrad 1942 fielen zusammen. Sein bis ans Lebensende kritischer und oppositioneller, vor allem aber denkfreudiger Verstand zog die Konsequenz in einer Zeit, in der nur die Kommunisten eine ehrliche Opposition gegen den Faschismus für sich beanspruchen konnten. Der junge Mann trat 1945 in die Kommunistische Partei Deutschland (KPD) ein. Er arbeitete als Bauernknecht und wurde als 17-Jähriger eherenamtlicher Sekretär der Landarbeitergewerkschaft. Und fiel zum ersten Mal in seinem Leben wegen seiner Aufmüpfigkeit durch das Raster. Die IG Bau trennte sich von den Kommunisten. Er blieb treu, volontierte bei der Parteizeitung Die Freiheit, studierte zwei Jahre lang an der Parteihochschule in Ostberlin, schulte kommunistische Arbeiterkader im Ruhrgebiet und wurde in den Parteivorstand gewählt.

Dann ereilte ihn 1956 das KPD-Verbot. Der überzeugte Jungkommunist wurde wegen illegaler Parteiarbeit zu einen Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt, setzte sich nach Stuttgart ab und wechselte von der Theorie des Marxismus-Leninismus zur Praxis. Er machte einen Kurs im Elektroschweißen und ging 1959 in die Fabrik, hielt dort still, „bis die Probezeit vorbei war“. Als „echter Malocher“ mit intellektueller Bildung und als Vertrauensmann sympathisierte er 1968 mit der antiautoritären Studentenbewegung und eckte so unweigerlich bei den traditionellen Gewerkschaftern der IG Metall an. Der Krach eskalierte zu Beginn der 70er-Jahre beim Streit um die Besetzung der Wahllisten für den Betriebsrat. Willi Hoss und eine Hand voll Arbeiter scherten aus und gründeten die legendäre Plakat-Gruppe, die eine eigene Liste aufstellte und fast 40 Prozent der Stimmen der Belegschaft bekam.

Der agile Schweißer geriet in Widerspruch zu seinen früheren kommunistischen Ideen. Studentenrevolte und antiautoritäre Bewegung hatten ihn beeinflusst. Plakat stand nicht mehr für die kommunistische Opposition gegen die sozialdemokratische Gewerkschaftsmehrheit, sondern definierte sich undogmatisch links mit Arbeiterimpetus. Willi Hoss träumte von einer aus Facharbeitersicht besseren Arbeitswelt, von Produktionsinseln und multifunktionalen Maschinen, die alles können, die heute Autos, morgen aber schon Solaranlagen bauen könnten. Dass Plakat nicht nur die Produktionsweise, sondern auch das Produkt selbst kritisierte, war damals in Baden-Württemberg ein Sakrileg. Die Stuttgarter Arbeiter waren stolz auf ihre Autos, verdienten auch nicht schlecht dazu mit dem Verkauf ihrer noblen Jahreswagen. Dass auch die besten Autos der Welt nur Autos sein sollten, irritierte sie. Die IG Metall warf die Abweichler raus, Plakat suchte die Öffentlichkeit. Schauspieler des Stuttgarter Staatstheaters solidarisierten sich, verteilten Flugblätter, und Plakat erregte bundesweit Aufsehen. Eine der Schauspielerinnen, die spätere Intendantin Heidemarie Rohwedder, heiratete Hoss. Es war eine zweite Ehe. Armin Golzem, der damals Mitglieder der Plakat-Gruppe juristisch vertrat, erinnert sich: „Ich habe Willi immer bewundert wegen der menschlichen Sanftheit im Gegensatz zu seiner kämpferischen Politik.“

Die nach dem Verfall der 68er-Revolte Mitte der 70er-Jahre erstarkende Anti-Atom- und Umweltbewegung nahm er wie viele andere auch nicht ernst. Hoss, der von sich selbst später sagte, damals habe er mit Umweltpolitik „nichts am Hut gehabt“, engagierte sich dann aber doch – allerdings mit großem Unbehagen. Er gehörte 1978 zu den Gründungsmitgliedern der Grünen, zog für sie zweimal in den Bundestag ein. 1985 war er einer der wenigen, die sich an die Rotationsbeschlüsse hielten. Er ging zurück in die Fabrik. In der Fraktion machte sich der Abgeordnete mit Lebenserfahrung und ohne Berührungsängste bei Tabuthemen nicht immer beliebt. Nicht als er nach der Wiedervereinigung für den Verbleib Deutschlands in der Nato plädierte, nicht als er laut und ernsthaft über schwarz-grüne Koalitionen in Baden-Württemberg nachdachte und als neokonservativer Abweichler gescholten wurde. Im November 2002 tritt er aus Protest gegen die Beteiligung der Bundesrepublik am Krieg in Afghanistan aus der Partei aus.

Willi Hoss hatte sich da den Grünen längst entfremdet und als Rentner für sich einen neuen, alten Lebenssinn entdeckt. Praktisch sein und helfen, wo es am notwendigsten ist. Er engagierte sich seit 1991 für ein besseres Leben der Indianer im brasilianischen Regenwald. Drei Monate im Jahr arbeitete er in der tropischen Hitze, baute in Indianerdörfern Solar- und Wasserentkeimungsanlagen auf und bekämpfte die Brandrodung. Hoss wurde 2000 Häuptling der Kaapar-Indianer mit dem Ehrennamen Tapoo, „der Fels“, „Jemand, der hält, was er verspricht“. Die Universität des Bundesstaats Para verlieh ihm den Ehrendoktortitel. So zog sein Leben einen Kreis: das Engagement eines aufrechten Linken, das Verständnis für Landarbeit und Maschinen, für Umweltschutz und die guten Kontakte zum ehemaligen Arbeitgeber Daimler verbanden sich. Zu seinem Vermächtnis gehört auch eine Fabrik, finanziert von dem Autokonzern, in der Kokosfasern zu Kopfstützen und Rückenlehnen verarbeitet werden. Kleinbauern liefern das Rohmaterial. Hoss steckte voll Visionen, sein Arbeitszimmer in Stuttgart-Degerloch auch voll Erinnerungen, zwischen und mit denen er lebte: Bilder, Zeichnungen seiner beiden Töchter, Sorgenpüppchen aus Lateinamerika und Gartenzwerge aus Deutschland. So viele kleine Geschenke für einen, der wenig für sich wollte und viel für andere gab.

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