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silke burmester Welche Gesellschaft?

Endlich einmal repräsentativ sein, endlich einmal eine Meinungsumfrage am Telefon mitmachen dürfen …

„Wenn am Sonntag Wahl wäre“, heißt es regelmäßig in politischen Fernsehsendungen und es ist ein Kleinmädchentraum, einmal zu den „repräsentativen 1.000 Personen“ zu gehören, aufgrund deren das Stimmungs- oder Politbarometer erfasst wird. Und nun scheint der Traum wahr zu werden …

Es klingelt. Die studentische Aushilfskraft irgendeines Umfrageinstituts meldet sich. Normalerweise sofortiges Abblocken, weil man keine Lust hat, schlechte Songs vorgespielt zu bekommen und darüber zu votieren, ob man diese noch öfter hören möchte. Aber das Wort „Gesellschaft“ fällt und „Politik“. Nein, sagen, worum es sich handelt, möchte der junge Herr nicht. Das kommt erst nach der Befragung, weil das Wissen darum die Antworten verfälschen könnte. „Na gut“, sagt die neugierige Person und wittert ein feines Fresschen. „Beurteilen Sie die gesellschaftliche Situation eher positiv oder eher negativ?“ Welche Situation? Und welche Gesellschaft?

Der Herr wiederholt die Frage, will aber keine Diskussion führen über die unpräzise Formulierung. Fragt weiter, wie man die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland einschätzt. Die persönliche Situation. Die Arbeit der Regierung.

Und dann, dann ist sie da: „Wenn am kommenden Sonntag Wahl wäre …“ Die Befragte ist begeistert: „Darauf habe ich mein halbes Leben lang gewartet, das endlich gefragt zu werden! Einmal dabei zu sein, wenn im Fernsehen dieses tolle Stimmungsbild dargeboten wird!“ Der junge Mann ist nur mäßig bereit, der Begeisterung Raum zu geben. Es ist 19 Uhr, er will wohl nach Hause. Sein Katalog enthält noch viele dieser handelsüblichen Erhebungen zur Einschätzung von Kompetenz und möglichem Wahlverhalten, aber auch zur Haltung in der Diskussion um religiöse Symbole an Schulen. Die Befragte antwortet nach bestem Wissen und Gewissen. Doch manchmal ist es schwierig. „Wie sind Sie mit der Arbeit des FDP-Parteivorsitzenden zufrieden“? Oder mit der von Friedrich Merz? Die Antwortskala umfasst Möglichkeiten von hoch zufrieden bis kellerartig unzufrieden. Was soll man da sagen, wenn man gar nicht beurteilen kann, wie gut Merz seine Arbeit macht? Und Westerwelle fährt seine Partei so zielgerichtet gegen die Wand, dass er dafür ein dickes Lob verdient. Wie die anderen Befragten und ich die Lage einschätzen, kann man in der ARD erfahren. 22.45 Uhr „Bericht aus Berlin“.

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