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berliner szenen Weserrakete

Supersonic PoPo-Bar

Als der Kollege seinen I-Pod in einen für das spartanische Erdgeschossbüro überdimensionierten Verstärker von Hughes & Kettner stöpselt, ist es Zeit zu gehen. Man hört das Klirren der Fenster im Hof.

Kiez-Koller. Ich fahre nach Charlottenburg. Als ich nach Mitternacht wieder am Hermannplatz ankomme, laufen viele Jugendliche Richtung Weserstraße: Schon wieder „Weserrakete“. In der Charlottenburger Edelwohnung hatte ich mir die Tasche mit schnellen Bieren gefüllt. Das zahlt sich nun aus: in den dutzenden neuen Lokalen mit Namen wie „PoPo-Bar“ oder „Kuschlowski“ verstopfen Menschen den Weg zum Zapfhahn. Auf der einen Straßenseite pilgern sie in Richtung Kreuzberg, auf der anderen zurück. Im „Super Sonic“ ist ein DJ engagiert, der aussieht wie ein Pantomime; nur mit Anstrengung hört man leise Musik. Ich greife in die klirrende Tasche, Freund B. nach dem Flachmann. Ecke Fuldastraße spielt laute Bollywood-Musik aus dem immer leeren indischen Restaurant, in dem der Kellner alleine tanzt. Gegenüber vor dem „Ä“ stehen 300 Menschen. Vorm „Gelegenheiten“ nur zwei Mannschaftswagen der Polizei. Sicher haben sie die Anlage konfisziert, denn drinnen gibt es statt Musik nur orangefarbene Tapeten.

Neben zerfetzten Platten liegt im „Valentin Stüberl“ eine Installation auf der Bierbank am DJ-Pult, schwarz gekleidet: ein riesiger Herr mit Hut. Vom Pinkeln zurückgekehrt, ruft er in tiefem Bass: „Wer hat sich auf mein Bett gesetzt!“ Erschrocken rücken die zwei Knaben von der Bierbank. Auf dem Nachhauseweg sehe ich dann, dass abseits des Wesereldorados das Unmögliche geschehen ist: Es ist der 26. 10. 08, und auf der Karl-Marx-Straße wurden die Uhren umgestellt! SONJA VOGEL

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