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Räume als Denkbilder

Bremens Autorin Inge Buck lotet in ihrem Lyrik-Band „Orte.Blicke“ ästhetische Verwandtschaftsgrade aus / Anatomie der menschlichen Melancholie

„Ein Museum ist im Grunde ein Ort wie ein Kaufhaus“, sagt Inge Buck. Am Amsterdamer Rijksmuseum habe die passionierte Reisende jene Vielzahl von Dingen fasziniert, „die eigentlich nicht zusammengehören, sich in der Anschauung aber zu etwas neuem zusammenfügen. Wie von selbst.“ Das Buch „Orte.Blicke“ der Bremer Kulturwissenschaftlerin lotet in knapper Prosa und Gedichten Räume als Denkbilder aus. Sie archivieren Beobachtetes, Fiktives, Randständiges.

Dass sie zwischen Kaufhaus und Museum keinen Trennstrich zieht, auch dass sie alles, was sicht- und hörbar wird, stets als Artefakt kennzeichnet, verrät eine Wahlverwandtschaft zu bestimmten Kulturtheoretikern und Künstlern des 20. Jahrhunderts: Wie das Museum, das seine bürgerliche Geschichte stets miterzählt, ist für Inge Buck die Welt ein „Ort des neugierigen Sammelns“: „Denn das Gestaltete kann nicht gelebt werden, wenn das Zerfallene nicht eingesammelt und mitgenommen wird“. Dieser flanierende Satz Siegfried Kracauers eröffnet „Orte.Blicke“. Die „alternde Stadt“ Lissabon, „die ihre Wunden nicht verdeckt“, schmückt im gleichnamigen Gedicht „den Zerfall ihrer Schönheit / mit blauen Azulejos“.

Im kurzen Amsterdam-Zyklus finden sich van Goghs letzte Lebens- und Arbeitsjahre prosaisch als Liste von Motiven und Bildunterschriften: Er malte „1886 / Einen Totenschädel / mit brennender Zigarette / Im gleichen Jahr / Ein Selbstportrait / … / 1889 / Gekrümmte Olivenbäume / Und eine Pieta / mit seinem Gesicht“.

Der Blick Inge Bucks richtet sich zunehmend auf Partikel einer „Anatomie des melancholischen Menschen“. Ohne große Geste und nicht mit schlichter Resignation zu verwechseln. Alles scheint einer leisen Sammlungslogik zu folgen.

Am nächsten kommt Buck dabei ihrem selbst gestellten Forschungsauftrag wohl in einem Text über ein Bild von Kokoschka: Delphi. Es ist ein Alterswerk, eine griechische Gebirgsszene.

In einer Art Zeitenmischung blendet Inge Buck in die wasserlose Kargheit des Sujets jene Flusslandschaften quer durch Europa – „Todeslandschaft, zugleich Landschaft des Lebens“ –, die des Malers Oeuvre prägen. Um sich wenige Seiten später wieder mit Wollmänteln, Gartenthermometern und ägyptischen Eselskarren zu beschäftigen. Das Museum der Inge Buck ist überall. Tim Schomacker

Inge Buck, „Orte.Blicke“, WMIT-Verlag, Bremen, 95 Seiten, 19,50 Euro

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