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Abschiebung in Eis und Schnee

Zwei Vollwaisen nach Kirgisien abgeschoben. Anwalt: „Schlichtweg inhuman“. Pro-Asyl: „Staatliche Aussetzung von Minderjährigen“. Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Übergriffen von BGS-Beamten bei letztem Abschiebeversuch

Beim dritten Mal hob das Flugzeug ab: Der kurz vor Weihnachten während eines gescheiterten Abschiebeversuchs von BGS-Beamten misshandelte 17-jährige Kirgise Holsat und sein 18-jähriger Bruder Suchlan sind gestern in ihr Heimatland abgeschoben worden. Die Maschine mit den beiden Vollwaisen startete um 10 Uhr morgens von Schönefeld Richtung Moskau. Von dort sollte es in Begleitung von BGS-Beamten in die kirgisische Hauptstadt Bischkek weitergehen. Dort herrscht zurzeit tiefster Winter.

Die Abschiebung sei „schlichtweg inhuman“, so Anwalt Ronald Reimann. Die Brüder hätten in Kirgisien keine Angehörigen. Auch gebe es dort keine staatliche Einrichtung, in der sie unterkommen können. Der Sprecher von Pro-Asyl, Heiko Kauffmann, sprach von „staatlicher Aussetzung von Minderjährigen“. Im Gegensatz zu den vorherigen Malen hatten sich diesmal weder Holsat noch sein älter Bruder gegen die Abschiebung gewehrt. Das teilte zumindest Flughafenpfarrer Gottfried Kraatz dem evangelischen Pressedienst epd mit. Der Asylantrag der beiden Waisen, die sich laut ihrem Anwalt in Kirgisien als Tagelöhner in der Landwirtschaft verdingt hatten, war im vergangenen Juli rechtskräftig abgelehnt worden. Danach saßen beide in Köpenick in Abschiebehaft. Im September wurde der jüngere Holsat entlassen, weil Minderjährige nicht länger als drei Monate in dem Knast zubringen dürfen.

Im Oktober wurde der erste Abschiebeversuch unternommen. Das Unterfangen sei daran gescheitert, dass die Brüder sich geweigert hätten, den Flieger zu besteigen, berichtet der Mitarbeiter des Flüchtlingsrats, Jens-Uwe Thomas. Holsat sei daraufhin wieder in Haft gekommen. Beim zweiten Versuch, kurz vor Weihnachten, bei dem es zu der Misshandlung durch die BGS-Beamten kam, sollte Holsat allein abgeschoben werden.

Nach Angaben des Flüchtlingsseelsorgers des Abschiebeknasts, Dieter Ziebarth, war der 17-Jährige, der nicht ohne seinen Bruder reisen wollte und sich deshalb heftig sträubte, von den Beamten in das Flugzeug geschleift worden. Um ihn am Schreien zu hindern, hätten ihm die Beamten im voll besetzten Passagierraum Mund und Nase zugehalten und dann mit Faustschlägen traktiert. Die Abschiebung war abgebrochen worden, als der Pilot die Beamten und den Kirgisen des Flugzeugs verwies. Holsat hatte dem Pfarrer später seine Wunden gezeigt.

Gegen die BGS-Beamten hat die Potsdamer Staatsanwaltschaft inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Am Montag wurde Holsat richterlich vernommen. Weil die Staatsanwaltschaft der Auffassung ist, dass die persönliche Anwesenheit des Zeugen im Gerichtsverfahren nicht erforderlich sei – die Verlesung des Vernehmungsprotokolls reiche aus – war der Weg für die Abschiebung frei.

„Man hätte die beiden nicht in Eis und Schnee schicken müssen, sondern bis März warten können“, empört sich Anwalt Reimann. Als letzten christlichen Dienst hat Knastpfarrer Ziebarth den Brüdern wenigstens noch vernünftige Schuhe und warme Jacken mit auf den Weg geben können. PLUTONIA PLARRE

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