: Unsichtbarer Feind
Die Doku „Die Holzschutzmittel-Opfer“ zeigt, wie viel Gefahr noch immer in Lacken lauert (22.30 Uhr, SWR)
Wer regelmäßig mit Holz in Kontakt kommt, sollte Vorsicht walten lassen. Diese Warnung prägt sich ein, während man die 45-minütige Dokumentation „Die Holzschutzmittel-Opfer: legal vergiftet, dann vergessen“ von Mirko Tomic sieht. Und es werden Erinnerungen wach: Anfang der Neunzigerjahre sorgte ein Holzschutzmittelprozess am Frankfurter Landgericht für Aufsehen. Zwei Chemiemanager wurden damals verurteilt. Ist die Gefahr also seither gebannt?
Ganz und gar nicht, wie die Doku belegt. Der große Skandal ist seinerzeit schnell im Sande verlaufen: Der Bundesgerichtshof hob das Urteil gegen die Manager wegen eines „Formfehlers“ auf; tausenden Betroffenen wurde damit die Möglichkeit genommen, an den Präzedenzfall anzuknüpfen. Staatsanwalt Erich Schöndorf, damals Ankläger, sagt heute: „Die Geschichte geht weiter und fängt wieder von vorne an.“ Es gibt nach wie vor nicht nur all jene Holzschutzmittelgeschädigten, die damals krank wurden; es gibt auch neue Opfer.
Einerseits lauern jene Giftstoffe, deren Verkauf inzwischen verboten wurde, immer noch in vielen Gebäuden; andererseits sind auch neu gemischte Holzschutzmittel gesundheitsgefährdend, warnen Experten in der Doku: Nerven und Muskeln, Bandscheiben und Gelenke können von dem Gift befallen werden. Am schlimmsten trifft es oft das Hirn. Von schwersten Schädigungen ist die Rede, bis hin zur Persönlichkeitsveränderung.
Die Gefahr ist anfangs überhaupt nicht erkennbar. Beispiel Familie Brünnicke: Sie hatte 2003 für 100.000 Euro ein Fertighaus gekauft, das 1978 errichtet worden war. Ein vermeintliches Schnäppchen. Bis die Familie krank wurde: Experten stellten eine hohe Konzentration an giftigen Holzschutzmitteln fest. Familie Brünnicke riss das Fertighaus ab.
Ähnlich erging es Helga und Volker Zapke: Sie renovierten ein altes Fachwerkhaus. Dass die von ihnen verwendeten Holzschutzmittel hochgiftig sind, erfuhren sie erst nach ein paar Monaten, und zwar am eigenen Leib: Ihre Kinder bekamen schwere Akne, und Helga Zapke leidet noch heute, nach vielen Jahren, an einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse. Mittlerweile leben sie in einem erst später ausgebauten Stall auf wenigen Quadratmetern.
Das Problem solcher Betroffener: Die Beweislast liegt bei ihnen. Für den Kampf gegen die Verursacher gründeten Zapkes deshalb die Interessengemeinschaft Holzschutzmittelgeschädigter (IHG). Denn treffen kann es fast jeden: Handwerker, die mit solchen Lösungsmitteln ständig in Kontakt kommen und von ihrem Arbeitgeber keinen ausreichenden Schutz gestellt bekommen; Heimwerker, die meist nicht ahnen, welche Gefahr ihnen droht, wenn sie mit Holzschutzmitteln hantieren – und sie später täglich einatmen; Mieter von Immobilien, die nicht wissen, welche Stoffe in den Räumen verarbeitet wurden.
„Was zählt, ist nicht, ob unsere Mittel krank machen, sondern ob wir dafür haften“, wird in der aufschlussreichen Doku einer der im Frankfurter Holzschutzmittelprozess verurteilten Manager zitiert. Fazit: Behörden, Industrie und Politik haben keine Lehren aus einem der größten Umweltskandale der Bundesrepublik gezogen. LARS KLAASSEN
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